Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman
Monsieur!« Der Kopf des Besuchers kam langsam
wieder hoch, sein Gesicht war gerötet, die Äuglein blitzten. »So treten Sie doch näher!« bat de Baule.
Der kleine Mann ging langsam und in einem eigenartig wiegenden Gang – wie ein Tänzer oder ein Mensch mit zwei verschieden
langen Beinen – zum Schreibtisch de Baules. Dabeihielt er beide Arme steif an die Seiten gepreßt, um zu verhindern, daß die Rockschöße nach vorne schlugen. Lamartine hatte
den Eindruck eines Menschen, der tun und lassen konnte, was er wollte, und dabei immer ein wenig lächerlich wirkte.
De Baule wandte sich Lamartine zu und erklärte beiläufig: »Das ist Inspektor Lamartine von der Pariser Polizei. Er hielt sich
gerade im Haus auf, und ich habe ihn dazugebeten.« Der Besucher hielt inne und machte eine zweite, knappere Verbeugung in
Lamartines Richtung. Der Inspektor, der sonst wenig auf Formen achtete, mußte sich kurz erheben und mit einem knappen Nicken
zurückgrüßen.
De Baule wies auf den Stuhl neben seinem Schreibtisch. Der Deutsche warf die Rockschöße zurück und nahm Platz. Auf dem mit
blutrotem Plüsch bezogenen Kanzleistuhl sah er aus wie ein schüchternes Kind. Erst legte er die Beine übereinander, überlegte
es sich dann wieder und stellte seine Füße schließlich nebeneinander.
»Darf ich Sie bitten zu beginnen?« sagte de Baule höflich.
Die Stimme des Besuchers war fest und laut, sein Französisch war sehr gut, nur ein harter Akzent identifizierte den Sprecher
als Deutschen. »Lieber Herr stellvertretender Kriegsminister. Lieber Herr Kollege. Ich komme in einer ernsten Angelegenheit
zu Ihnen. Ich muß Sie leider um Ihre Mithilfe bei der Aufklärung eines Verbrechens bitten, das unsere Herren sehr beunruhigt.
Wie wir hörten, wurde gestern morgen im Bois de Boulogne die Leiche des Monsieur Franc gefunden. Franc gehörte zu den französischen
Bürgern, die vernünftig genug sind, etwas für die Zukunft ihres Landes zu tun, indem sie sich mit uns arrangieren. Ich weiß,
daß es in Paris Menschen gibt, die diese Landsleute verachten und sie Kollaborateure nennen. Aber Männer wie Franc handeln
aus patriotischen Motiven, und die Geschichte wird zeigen, daß diese Menschen recht daran getan haben, uns ihre Mitarbeit
anzubieten. Wenn einer dieser Menschen ermordet wird, so ist esunsere Pflicht, die Mörder dingfest zu machen und zu bestrafen. Deshalb bin ich hier. Ich erbitte Ihre Unterstützung!«
Lamartine sah de Baule an. Den schien das Anliegen des Deutschen zu quälen. »Mein lieber Freund«, antwortete der stellvertretende
Kriegsminister nach einer Weile. »Ich verstehe ja Ihre Erregung angesichts dieses Mordes. Aber ich glaube, Sie sind hier völlig
falsch. Sie befinden sich im Kriegsministerium und nicht im Polizeipräsidium ...«
Der Besucher fiel ihm ins Wort: »Sie bekommen von uns die Freipässe, mit denen man sich in Paris ungehindert bewegen kann.
Wir haben Ihnen in dieser Hinsicht weitgehend freie Hand gelassen, weil wir dachten, Sie sind an einer friedlichen Koexistenz
mit uns interessiert. Offensichtlich wird aber mit dieser gutgemeinten Einrichtung Mißbrauch getrieben. Sie haben Leute damit
ausgerüstet, die die großzügig überlassenen Blankoformulare dazu benutzen, um Landsmänner zu ermorden, die mit uns zusammenarbeiten!«
»Was erwarten Sie von mir?« fragte de Baule – fast schon verärgert.
»Kontrollieren Sie Ihre Listen ...« Als de Baule protestieren wollte, wurde der Besucher schärfer. »Die Listen der Blankofreipässe! Wenn Sie sie nicht selbst
kontrollieren und die Leute überprüfen, tue ich es. Sie haben zwei Tage Zeit. Sollten Sie bis dahin nicht zu einem Ergebnis
gekommen sein, lasse ich Sie und Ihre Mitarbeiter verhaften und vor ein deutsches Kriegsgericht stellen! Sie wissen, daß Ihnen
dann der Tod droht, falls sich erweisen sollte, daß der Mörder Francs in diesem Hause Unterstützung fand. Ich möchte wissen,
mit wem Gaston Franc zu tun hatte. Diese Leute müssen in Besitz von Freipässen sein.«
Der stellvertretende Kriegsminister schluckte, als müßte er ein unzerkautes Stück Fleisch hinunterwürgen.
Der Deutsche wandte sich unvermittelt Lamartine zu. »Ich habe Hochachtung vor Polizisten, die ihre Arbeit anständig tun. Ich
bin selbst Polizist. Vielleicht verstehen Sie mich besser als der verehrte Monsieur de Baule. Sollten Sie Hinweise aufdie Täter haben, so bitte ich Sie, sie mir zu geben! Natürlich
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