Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman
anfallenden Kosten in Rechnung stellen. Guten Tag, die Herren.«
Lamartine war schon auf der Treppe, als die aufgeregten Schritte von Garanche wie ein leichter Trommelwirbel durch das Gewölbe
des Flurs hallten. »So warten Sie doch, Monsieur Lamartine! Wir haben Ihr Anliegen nicht ganz verstanden. Würden Sie sich
bitte noch einmal in unsere Amtsstube bemühen?«
Als die beiden wieder das Zimmer 356 betraten, war Petit verschwunden. Lamartine wußte, daß er weggeschickt worden war, um
Hilfe zu holen. Garanche hielt den Inspektor mit Floskeln hin. »Wir ziehen doch in diesen schweren Zeiten alle am selben Strang.
Wenn unsereiner einem Kollegen helfen kann, so hilft er auch. Sie müssen nur verstehen, das hier ist nicht das Finanzamt,
das ist das Kriegsministerium, da liegt es in der Natur der Sache, daß nicht alles offengelegt werden kann. Es geht immerhin
um die Armee, um die Sicherheit unseres Vaterlandes ...«
Lamartine wußte, daß er es später schwerer haben würde, und fragte deshalb schnell: »Wer bekommt Freipässe?«
Der Mann rieb sich gequält die Hände. »Eigentlich nur hochgestellte Persönlichkeiten, deren Position es mitbringt, daß sie
sich im Interesse des Landes ungehindert über die Demarkationslinien bewegen müssen ... Also Unterhändler, Wirtschaftsleute, hohe Offiziere, die mit den Reparationsverhandlungen zu tun haben.« Er schmunzelte.
»Ab und an auch mal eine kleine Tänzerin. Es ist zwar Krieg, aber die Biologie verlangt dennoch ihren Teil ...«
»Der Ermordete hieß Gaston Franc. Können Sie nachprüfen, warum ihm ein Freipaß ausgestellt wurde?«
»Wissen Sie, es ist nicht mal so, daß wir in jedem Fall bestimmen, wer einen dieser Freipässe bekommt und wer nicht. Die Freipässe
gehen uns durch die deutsche Militärverwaltung zu. Oft sind sie schon ausgefüllt. Dann handelt es sich um Personen, die die
Deutschen mit diesem Privileg ausstatten wollen ...«
»Kollaborateure!«
»Ich weigere mich, dieses Wort dienstlich zu gebrauchen ... Aber unter uns gesagt: Sie haben recht!«
»War Franc ein Kollaborateur?«
»Möglicherweise. Wir dürfen keine Bücher über die Freipässe führen, die uns schon ausgefüllt erreichen.«
»Die Deutschen haben wohl Angst, daß wir uns nach ihrem Abzug an den Kollaborateuren rächen?«
»Ich glaube, im Grunde ist es ihnen egal, was aus den Verrätern wird. Sie müssen nur eine gewisse Fürsorge demonstrieren,
sonst würden sie keinen Franzosen finden, der mit ihnen kollaboriert.«
»Führen Sie Buch über die Freipässe, die Sie selbst ausstellen?«
»Ja.«
»Dann muß man annehmen, daß Franc, wenn er in Ihren Akten nicht auftaucht, ein Kollaborateur war?«
»So ist es.«
»Dann sehen Sie bitte nach!«
Die Tür flog auf und Petit stürmte herein. Ihm folgte ein schmächtiger Mann in der wenig gebräuchlichen, rotgrünen Uniform
des Tambours eines Linien-Infanterieregimentes. In dem kargen Ministerium wirkte der Mann mit den vergoldeten Epauletten wie
ein Operetten-Komparse. Lamartine kannte den Uniformierten, es war Jean de Baule, einer der vier stellvertretenden Kriegsminister.
Mit ihm, einem für die Verhältnisse des Kriegsministeriums als besonders kultiviert geltenden,ehemaligen Militärattaché in London, hatte Lamartines Polizeidirektor die Einigung im Fall der beiden des Mordes an dem Bauernmädel
verdächtigen Soldaten ausgehandelt.
»Schon wieder machen Sie uns Ärger, Monsieur Lamartine!« sagte de Baule leise, aber es klang nicht sehr ernst gemeint. »Man
könnte glauben, Sie haben etwas gegen unser Ministerium ...«
Lamartine suchte nach einer geistreichen Antwort, aber de Baule nahm ihn am Arm und zog ihn auf den Flur. »Lassen Sie uns
doch in mein Zimmer gehen und die Angelegenheit dort besprechen!«
»Ihr Mitarbeiter hat mir schon erschöpfende Auskunft gegeben, ich müßte bloß noch ihre Freipaß-Liste einsehen ...« sagte Lamartine schnell, es widerstrebte ihm, sich mit einem stellvertretenden Kriegsminister einzulassen. Aber der Blick,
den de Baule daraufhin Garanche zuwarf, ließ Lamartine triumphieren: Er hatte einen empfindlichen Nerv getroffen – und Garanche
würde später eine Abreibung von seinem Chef erhalten.
»Es gibt sicher noch einige Fragen, Monsieur«, erklärte de Baule, der sich schnell wieder gefangen hatte. Lamartine fragte
sich, was ein geschickter Diplomat wie de Baule im Kriegsministerium zu suchen hatte.
De Baule schloß die
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