Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman
gilt meine Drohung mit dem Kriegsgericht nicht für Sie, Herr
Kollege. Dennoch sollten Sie mir helfen, denn ich will weiter nichts als Gerechtigkeit. Und Sie werden mir zustimmen, daß
die Mörder des Gaston Franc nach Ihren Gesetzen bestraft gehören.«
Lamartine wußte, daß der Deutsche eine Antwort von ihm erwartete. Er überlegte fieberhaft: Die Angehörigen des Kriegsministeriums
würden ihm bei seinen Ermittlungen Knüppel zwischen die Beine werfen, das war ihm klar. De Baules Friedensangebot hatte nur
ein Ziel: Es sollte ihn dazu bringen, aufzugeben. Wenn er weiter ermittelte, würde das Kriegsministerium härter gegen ihn
vorgehen. Wozu de Baules Leute fähig waren, hatte Lamartine schon am eigenen Leib erfahren. Und nun hatte er plötzlich einen
Verbündeten. Einen Deutschen zwar, aber einen Polizisten, der ebenso wie er an der Aufklärung des Mordfalles Gaston Franc
interessiert war.
Der Inspektor erhob sich, schaute auf de Baule, der seinem Blick auswich, und begann dann stockend: »Soviel ist mir bisher
bekannt: Gaston Franc arbeitete in einem Restaurant in der Rue Mouffetard. Es heißt »Le canard«. Franc war Koch im »Le canard«
und hat sich einen Tag freigenommen, um bei dem Empfang des Fürsten Donnersmarck als Hilfskoch zu arbeiten ...«
De Baule schlug mit der Faust auf die Schreibtischplatte. »Was fällt Ihnen ein, Lamartine! Niemand hat Ihnen die Erlaubnis
erteilt, sich in das Gespräch einzumischen. Ich habe Sie dazugebeten, weil ich dachte, Sie könnten etwas erfahren, was Ihnen
weiterhilft. Von einer Offenbarung Ihrer Ermittlungen Dritten gegenüber war keine Rede!«
Lamartine brauchte eine Weile, um diese Rüge zu verkraften. Als er den Blick des Deutschen bemerkte, wußte er, daß er de Baule
etwas entgegnen mußte, wenn er nicht als Trottel dastehen wollte: »Monsieur de Baule, ich habe es nicht nötig, mir von Ihnen
dienstliche Anweisungen geben zu lassen. Falls Siesich über mein Verhalten beschweren wollen, so tun Sie das beim Kriminaldirektor. Den kennen Sie ja bereits!«
De Baule schnaubte. »Raus, Sie Flegel!«
Der Deutsche lächelte zufrieden und sagte leise: »Nur die Ruhe, verehrter de Baule! Dieser Inspektor Lamartine ist ein fähiger
Kriminalist, ganz abgesehen davon, hat er Ihnen soeben das Leben gerettet. Oder glauben Sie, ich hätte gezögert, Sie füsilieren
zu lassen?« Damit verabschiedete er sich knapp und schritt auf die große Flügeltüre an der Stirnseite des Saales zu. De Baule
beeilte sich zu klingeln, damit der Sekretär öffnete und der Abgang des Besuchers nicht zu eigenmächtig aussah. Die Türe wurde
augenblicklich von außen aufgerissen, aber der Besucher schlüpfte, ohne sich umzusehen, an dem Sekretär vorbei in den dunklen
Flur.
De Baule ließ sich auf seinen Stuhl fallen. »Diese Ratte!« zischte er. Lamartine hielt es für eine günstige Gelegenheit zu
verschwinden. Er machte eine Verbeugung und schlich hinaus. Als der Sekretär die Tür hinter ihm schloß, hörte er de Baule
brüllen.
Lamartine stieg langsam die Treppe des Kriegsministeriums hinunter. Jetzt wußte er, daß der Tote ein Kollaborateur war und
seine Kameraden ihn umgebracht hatten. Er mußte nur noch herausfinden, wer ihm das Gift eingeflößt hatte. Wahrscheinlich war
es jemand aus dem »Le canard«. Lamartine konnte sich gut vorstellen, daß Lecoq den Befehl dazu gegeben hatte.
Warum aber hatte man Franc diese immense Menge Gift eingeflößt? Selbst Lecoqs Leute kamen nicht ohne weiteres an solche Stoffe
heran und mußten mit Bedacht damit umgehen. Und allein um den abtrünnigen Partisanen leiden zu lassen, hatten sie ihn sicher
nicht mit dem tödlichen Gift vollgepumpt: Die hohe Dosis hatte den Todeskampf eher verkürzt.
Eine Gestalt trat aus dem Schatten der Marmorsäule am Fuß der Treppe. Es war der deutsche Besucher de Baules. »Ichmuß mich für Ihre Hilfe bedanken!« erklärte der Mann, der eben noch de Baule den Tod angedroht hatte, freundlich. »Falls Ihnen
noch etwas einfällt, so besuchen Sie mich doch in meiner Kanzlei in der deutschen Kommandantur! Vielleicht sollten wir öfter
zusammenarbeiten. Unsere Ziele sind ja nicht so verschieden. Wir wollen doch beide, daß Verbrecher ihrer gerechten Strafe
zugeführt werden, oder?«
Lamartine gefiel dieser Mensch, er gefiel ihm nicht nur, er schien in ihm einen Gleichgesinnten gefunden zu haben, jemanden,
der ihm keine Steine in den Weg legte, ein
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