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Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman

Titel: Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Brenner
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weiteres Treffen nach drei Tagen.
    Lamartine blieb allein in seinem Büro zurück. Er war in keiner guten Stimmung. Erstens hatte er sich erhofft, daß er nach
     dem Einsatz seines Mitarbeiters im »Le canard« schneller zum Ziel kommen und den Mordfall Franc endlich abschließen würde.
     Zweitens fand er Stiebers Verhalten anmaßend. Auch hatten ihn die Erzählungen des Deutschen deprimiert – wenn selbst der erfahrene
     Stieber durch seine Arbeit schon einmal im Gefängnis gelandet war, blühte dem in politischen Operationen unerfahrenen Lamartine
     leicht das gleiche Schicksal.
    Was fiel Stieber ein, einfach die Liste an sich zu nehmen? Es war Lamartines Einsatz zu verdanken, daß sie einen Mann in dem
     Restaurant Lecoqs hatten, und dennoch überging der Deutsche ihn einfach. Wenn Lamartine schon seine Karriere und vielleicht
     sogar seine Freiheit riskierte, so wollte er auch den Lauf der Dinge mitbestimmen.
     
    Auf dem Heimweg betrat Lamartine noch eine Kneipe in der Nähe seiner Wohnung, um einen Schnaps zu trinken und etwas zu essen.
     Da es nur Weißbrot mit fetten Fleischlappen unklarer Herkunft gab, begnügte sich der Inspektor mit Anisschnaps. Insgesamt
     trank er vier kleine Gläser. Dann nahm eine junge Dame in hohen Schnürschuhen und mit einem blutroten Schönheitsfleck an der
     rechten Wange neben ihm Platz. Sie fragte Lamartine unumwunden, ob er mit ihr in ihre Mansarde kommen wollte. Der Inspektor
     willigte, ohne zu zögern, ein.
    Erst als die Dame sich auszog und sich über einer Emaille-Schüssel unter den Achselhöhlen und zwischen den dünnen Beinen wusch,
     bemerkte Lamartine, daß sie überhaupt keine Dame war, sondern ein allerhöchstens sechzehn oder siebzehn Jahre junges Mädchen.
     Zuerst wollte er wieder gehen, dann flehte sie ihn aber an zu bleiben, und Tränen traten in ihre Augen. Schließlich versprach
     sie ihm die Erfüllung seiner geheimsten Wünsche. Unter den unglaublichen Dingen, die sie nervös plappernd aufzählte, war auch
     das, was Lamartine sich schon lange von seiner Jeanne wünschte, und er blieb.
    Es wurde eine jämmerliche Angelegenheit. Lamartine bezahlte stumm und ging in die kalte Nacht davon.
     
    Das nächste Mal war Bouvet vor Stieber da. Er berichtete, für den nächsten Tag sei um die Mittagszeit eine Zusammenkunft aller
     Angehörigen der Organisation Lecoqs im »Le canard« geplant. Lecoq habe angekündigt, wichtige Neuigkeiten zu bringen.
    Auch diesmal hatte Bouvet für seinen Chef keine neuen Erkenntnisse im Fall Franc. Ja, der Agent erklärte sogar, er habe mehr
     und mehr den Eindruck, daß der Mörder des Partisanen nicht unter Lecoqs Leuten zu suchen sei, denn diese sonst eher ruppigen
     Männer sprachen von dem Toten immer noch in einem Ton ehrlicher Trauer. Selbst Lecoq habe mehrmals bedauert, einen guten Franzosen
     und tüchtigen Kämpfer wie Gaston Franc verloren zu haben.
    Lamartine beunruhigte diese Einschätzung sehr. Er schrie Bouvet an, er habe sicher etwas falsch gemacht und sich verraten.
     Jetzt spielten ihm die Partisanen eine Komödie vor, um die Polizei von sich abzulenken.
    Bouvet blieb diesen Vorwürfen seines Chefs gegenüber gelassen. Er erklärte Lamartine, er habe sich an das gehalten, was mit
     ihm und dem Deutschen abgesprochen worden war. Auch verfüge er im Umgang mit Kriminellen über genug Erfahrung, um beurteilen
     zu können, ob man ihm etwas vormache oder nicht. Er habe sein Bestes getan und sei sich seiner Sache sicher: Die, mit denen
     er es im »Le canard« zu tun hatte, kämen als Mörder von Franc nicht in Frage.
    Lamartine tat sein Verhalten leid. An seinem Mitarbeiter lag es diesmal nicht, wenn er in dem Mordfall nicht weiterkam. Der
     Inspektor wollte alles noch einmal durchdenken, bevor er sich geschlagen gab. Nur – wenn er sich geschlagen gab, dann würde
     er mehr als nur den üblichen Spott der Kollegen ertragen müssen. Dann würde er sich eine andere Arbeit suchen müssen, denn
     Lecoq und de Baule würden es nicht hinnehmen, daß jemand, der sich gegen sie gestellt hatte, weiterhin als Inspektor der Pariser
     Kriminalpolizei seinen Dienst versah.
    Er war mit seinen Überlegungen noch nicht zu einem Ende gekommen, als es klopfte und Stieber eintrat. Lamartine räusperte
     sich bedeutungsvoll, aber Stieber nickte ihm bloß zu und wandte sich gleich an Bouvet.
    Der begann, ohne daß der Deutsche ihn dazu aufgefordert hätte, sofort mit seinem Bericht. Stieber hörte – wie schon drei Tage
     vorher –

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