Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman
beiden Männer Lecoqs an, sie grinsten. Er wartete darauf, daß Lecoq sie wegschicken würde. Aber der schien
nicht daran zu denken. Für einen Moment glaubte Lamartine, Bouvets Stimme aus dem Gemurmel im Hinterzimmer herauszuhören.
»Ich habe einen Fehler gemacht«, erklärte der Inspektor mit brüchiger Stimme.
»Sie haben nicht nur einen Fehler gemacht, Lamartine. Sie haben alle Fehler gemacht, die man machen konnte ...«
Lamartine wünschte sich, daß die beiden Hünen endlich aufhörten zu grinsen. »Es ging mir darum, den Mord an Gaston Franc aufzuklären,
sonst wollte ich nichts«, fuhr er tapfer fort.
»Und warum haben Sie es nicht getan, Lamartine? Wir dachten, Sie sind ein guter Polizist ...«
»Ich habe Sie in Verdacht gehabt, Monsieur Lecoq.«
Lecoq schien das nicht zu überraschen. Er musterte Lamartine abschätzig. »Was haben Sie getan, Lamartine? Sagen Sie es – um
Gottes willen!«
Lamartine zögerte. »Sehen Sie, Sie haben mir nie die Wahrheit gesagt ... Sie haben immer nur versucht, mich unter Druck zu setzen, Sie haben mich behandelt wie einen dummen Laufburschen!«
»Hören Sie auf zu jammern, Lamartine! Da drinnen warten fünfzig Herren auf mich, einige davon dürften Sie kennen. Unter anderem
den stellvertretenden Kriegsminister de Baule ...«
»Ich konnte gar nicht anders. Alles deutete darauf hin, daß Sie sich an Gaston Franc gerächt haben.«
»Gerächt? Wofür denn?«
»Dafür, daß er mit den Deutschen zusammengearbeitet hat!«
»Sind Sie wahnsinnig, Franc hätte niemals mit den Deutschen zusammengearbeitet, er war ein Nationalist. Er hat während des
Krieges sein Leben für unser Land riskiert. Glauben Sie, ein solcher Mensch läuft nach diesem vermaledeiten Waffenstillstand
einfach über?«
»Vielleicht wollte er nur das Beste für Frankreich. Schließlich sind die Preußen die Sieger – man kann nicht so tun, als gäbe
es sie nicht.«
»Das hat Gaston Franc beileibe nicht getan.«
»Er ist in ihre Dienste getreten. Ich glaube, daß er sich hier freigenommen hat, um bei dem Diner des Grafen Henckel von Donnersmarck
mit den für ihn wichtigen Leuten in Ruhe reden zu können!«
Lecoq war bleich geworden. Er winkte dem Alten zu, der eilig näher kam. Lecoq flüsterte ihm etwas ins Ohr, der Alte verschwand
und kam nur wenige Augenblicke später mit einem in einen zerschlissenen, braunen Uniformmantel gehüllten Mann wieder. Es war
der stellvertretende Kriegsminister de Baule.
De Baule warf Lamartine einen verächtlichen Blick zu und wandte sich dann aufgebracht an Lecoq: »Wieso dauert das so lange?!
Sie wissen, wie gefährlich es für mich ist, mich hier bei Ihnen länger als nötig aufzuhalten!«
Lecoq trat auf de Baule zu und sagte ihm etwas, was Lamartine nicht verstand. De Baule sah Lamartine erstaunt an, dann nickte
er düster und verschwand wieder im Hinterzimmer. Lecoq gab den beiden Hünen einen Wink, woraufhin sie de Baule ins Hinterzimmer
folgten. Der Chef der Politischen Polizei trat auf Lamartine zu. »Wir hätten nicht gedacht, daß Sie so dumm sind!«
»Ich ... ich verstehe nicht«, stammelte Lamartine.
»Sie verstehen überhaupt nie etwas!« zischte Lecoq. »Mein Gott: Franc war natürlich in unserem Auftrag auf dem Diner der Deutschen.«
Lamartine stockte der Atem: »In Ihrem Auftrag? Sollte er verhandeln?«
»Verhandeln?« höhnte Lecoq. »Wir verhandeln nicht mit Besatzern! Franc war unsere ganze Hoffnung, Lamartine ...« Offensichtlich erwartete Lecoq, daß Lamartine ihn verstand, ohne daß er deutlicher wurde. Aber der Inspektor schüttelte
nur ungläubig den Kopf.
Lecoq seufzte angesichts der Schwerfälligkeit des Kollegen. »Er wollte Frankreich retten!«
»Frankreich retten?« wiederholte Lamartine verständnislos. »Wie sollte er Frankreich retten, ohne zu verhandeln?«
Lecoq sträubte sich, ihm die Antwort zu geben, die ihm auf der Zunge zu liegen schien.
»Ohne zu verhandeln«, wiederholte Lamartine. Dann fiel es ihm ein, er stieß laut hervor: »Ein Attentat! Franc sollte den Kaiser
umbringen.«
Lecoq nickte. »Nicht nur den Kaiser!«
Lamartine flüsterte: »Also hatte Stieber doch recht!«
Lecoq packte Lamartine an der Schulter: »Womit hatte Stieber recht?«
»Er wußte es, er wußte, daß ein Anschlag geplant war.«
»Natürlich wußte er es! Er und kein anderer hat Franc überrascht. Es war geplant, daß Franc das Essen der Deutschen vergiftet.
Stieber muß ihn bei einem
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