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Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman

Titel: Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Brenner
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außer dat ick hier anschaffe. Und das steht auf ’m anderen Blatt. Wenn ick
     an diesen Stieber denke, kann ick nur laut lachen, wa. Von wejen: Zum Amtsarzt einbestellen. Gerade der!«
    Lamartine trat zu ihr heran: »Wie meinen Sie das, Mia?«
    Sie beugte sich etwas vor und küßte ihn leicht auf die Wange. »Paß uff, Lamartine! An der übernächsten Ecke ist ’ne Kneipe.
     ›Eichelkraut‹ heißt der Laden. Da gehste jetzt rin und gönnst dir ’n Halben und ’n Schnaps. Wenn dein Jeld nichreicht, zahle ick später die Zeche. Saach det dem Wirt, den kenn ick jut! Ick komm gleich nach, wa.«
    Lamartine war sprachlos. Aus Verlegenheit drückte er ihr die Hand. Mia kicherte.
    Dann ging er schnell weiter.
     
    Der Inspektor hatte in seiner Zeit als Anwärter für den kriminalpolizeilichen Dienst viel Laufarbeit in den verrufensten Bezirken
     leisten müssen. Aber eine Kneipe wie das »Eichelkraut« hatte er noch nie gesehen. In dem winzigen Raum, in dem eine Rauchwolke
     waberte, standen die gescheuerten Holztische so dicht, daß man über die Bänke steigen mußte, um zu einem freien Platz zu gelangen.
     Aus einem Loch in der Hinterwand reichte der Wirt große Biergläser in den Gastraum. An seiner Lederschürze klebte grauer Bierschaum.
    Lamartine blieb erst neben der Tür stehen. Als aber immer mehr Gäste von draußen hereindrängten, wurde er bis zur Durchreiche
     geschoben. Sofort trat ein Bursche, der Lamartine gerade mal bis zur Schulter reichte, an ihn heran, spitzte die Lippen und
     blies ihm in die Nase.
    »Was wollen Sie von mir?« fragte Lamartine.
    »Verpiß dich!« zischte der Junge. Lamartine verstand den Sinn der Worte nicht genau, aber er konnte ihn sich denken. Zwei
     massige Männer, die in der ersten Bankreihe gebückt über ihren Bieren saßen, beobachteten Lamartine. Er verstand: Der Kleine
     war der Lockvogel der beiden. Wenn er sich an dem Burschen vergriff, würden sie sich auf ihn stürzen und später behaupten,
     dem Schwächeren zu Hilfe gekommen zu sein.
    Lamartine verzog sich in eine Ecke. Der Wirt streckte seinen Kopf in die Gaststube und taxierte ihn ungeniert. Obwohl Lamartines
     Kleidung unter der Reise gelitten hatte, wirkte er im Vergleich zu den anderen »Eichelkraut«-Gästen elegant.
    Der Junge folgte Lamartine und blies ihm wieder in die Nase. Als Lamartine seinen Kopf zur Seite drehte, spuckte derJunge ihm ins Ohr. Lamartine schlug ihm seine Handwurzel auf die Nasenspitze. Obwohl der Schlag halbherzig ausgeführt worden
     war, begann die Nase des Jungen zu bluten. Die beiden Hünen erhoben sich.
    Der Wirt rief Lamartine zu: »Was trinkt der Herr?«
    »Ein kleines Bier!« bestellte Lamartine.
    »Ein kleines Bier!« wiederholte der Wirt.
    »Frau Wilke, also Mia, hat mich eingeladen. Sie kommt gleich nach – und sie wird auch bezahlen.«
    Der Wirt nahm ein schmales, aber hohes Glas Bier unter dem laufenden Zapfhahn weg und reichte es dem Gast. »Eine Potsdamer
     Stange, der Herr«, sagte er. Lamartine beeilte sich, den Schaum abzutrinken, bevor er überlief. »Was trinken die Herren da?«
     fragte er dann mit Blick auf die beiden Hünen, die nur ein großes Glas vor sich auf dem Tisch stehen hatten.
    »Klauweiße«, antwortete der Wirt. »Alle trinken aus dem gleichen Glas. Das Bier ist dasselbe.«
    »Dann geben Sie den Herren eine Klauweiße auf meine   ... auf unsere Rechnung!«
    Die beiden Männer sahen sich kurz an und nahmen wieder Platz. Der Kleine schrie ihnen etwas zu, was Lamartine nicht verstand.
     Einer der beiden stand auf, versetzte dem Lockvogel eine Ohrfeige und grinste Lamartine an. In diesem Moment betrat Mia Wilke
     das »Eichelkraut«. Lamartine winkte ihr zu.
    Mia zitterte vor Kälte. Als sie an ihn herantrat, begann auch Lamartine zu frieren. Mia zögerte einen Moment – nicht aus Verlegenheit,
     sondern um den Umstehenden Gelegenheit zu geben, sich ihr und dem Fremden zuzuwenden. Dann wippte sie auf die Zehenspitzen
     und küßte Lamartine auf den Mund. Für einen Moment hörte das Gemurmel im »Eichelkraut« auf. Dann wandten sich die Gäste wieder
     ihren Klauweißen zu, die wie Eimer vor ihnen standen.
    Die Lippen Mias wirkten noch schmaler als sonst, sie waren blau verfroren und fühlten sich wie Metall an, ihre Backenknochen
     traten scharf hervor, die Bindehaut ihrer Augen warrötlich entzündet. Dennoch taute Lamartine auf. Vielleicht war es der erste Schluck Bier, vielleicht war es auch die Einsamkeit
     der letzten Tage   – Lamartine

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