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Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman

Titel: Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Brenner
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rührte der Kuß der Dirne. Er lächelte schwach. Die junge Wilke sah ihn mit ihren geröteten Augen lange an. Dann
     wandte sie sich dem Wirt zu und gab ihm mit erhobenem Daumen ein Zeichen. »Warum sagst du mir nich, wat de von Stieber willst?
     Vielleicht kann ick dir ja helfen?« fragte sie Lamartine.
    Er überlegte. Es widerstrebte ihm, von Jeanne, von dem Kind in ihrem Bauch, von der Trennung und von seiner Niederlage gegen
     den deutschen Geheimdienstler zu erzählen. Er dachte an Mias Freier, die sie auch mieteten, um den Ärger mit ihren Ehefrauen
     loszuwerden. »Stieber hat in Paris einen Mord begangen«, antwortete Lamartine schließlich.
    »Biste ooch Polzist?«
    »Ja.«
    »Det hät ick nich jedacht!«
    Der Wirt brachte Mia einen Schnaps und klopfte ihr seine Pranke auf den Hintern. Mia ließ es über sich ergehen. Sie trank
     den Schnaps in einem Zug aus und schüttelte sich. Dann strahlte sie Lamartine an, als wäre ihr augenblicklich wärmer geworden.
     »Ick kenn den Stieber. Ick könnte dir ooch einijes über ihn erzählen!« Es klang wie die Aufschneiderei eines Straßenmädchens,
     das einem Freier imponieren will.
    »Frauen in deinem Beruf kommt viel zu Ohren«, sagte Lamartine. Es klang herablassend und – ahnungslos.
    Mia stellte das Glas auf einem Tisch ab. Ein Mann mit einem spitzen Gesicht, der ebensowenig wie Lamartine ins »Eichelkraut«
     zu gehören schien, trat an die beiden heran und wandte sich – leicht errötend – an Mia. »Sind Sie schon verabredet?«
    »Det siehste doch!« fuhr Mia ihn an. Dann etwas umgänglicher: »Haste überhaupt Jeld?«
    Der Freier zeigte ein gequältes Gesicht, zog dann aber eine Brieftasche aus seiner Jacke und klappte sie auf. Ein einzelner
     Schein lag darin, er wirkte wie ein Kleinod, das sein Besitzerseit Jahren hütete. Mia tätschelte ihm die Wange und flüsterte: »Wart eenen Moment, Süßa, ick bin hier gleich soweit, dann
     nehm ick dir mit raus!« Als sie sich darauf wieder Lamartine zuwandte, zog der Mann sich gefügig zurück. »Ick hatte schon
     öfter mit Stieber zu tun – allerdings nich als Freier. Er interessiert sich für die Dirnen. Off die eine oder andere Art.«
    Das Auftreten des Freiers hatte Lamartine irritiert. Es wäre ihm lieber gewesen, Mia hätte den Mann abgewiesen. Gleich würde
     sie unter seinen Augen mit ihm das Lokal verlassen, um sich ihm draußen in der Kälte, in einem Hauseingang zu verkaufen. Lamartine
     packte ein Unbehagen, eine Eifersucht, die er Jeanne gegenüber noch nie empfunden hatte.
    »Ick gloobe, Stieber verachtet unsereenen. Es heißt, er kommt aus ’nem juten Haus, sein Vater soll sogar ’n hoher Kirchenbeamter
     oda sowat jewesen sein«, plapperte Mia. »Sie werden’s nich glooben, aber einige meiner Kolleginnen verehren den Kerl. Is det
     nich erstaunlich: Er schaut auf se runter, er warnt die braven Bürger, sich mit die Dirnen einzulassen, weil se die Kriminalität
     in die Stadt bringen und all so ’n Scheiß, und dennoch himmeln ihn de Dirnen an.«
    Mia lachte plötzlich auf. Sie legte ihre Hand auf Lamartines Schulter. Wieder spürte er ihre Kälte durch die Kleider hindurch,
     dann kam sie ihm ganz nahe und küßte ihn zum zweiten Mal, diesmal länger. Ihr Kuß fühlte sich nicht mehr so kalt und trocken
     an, er war jetzt schon fast warm und feucht, und Lamartine glaubte für einen Augenblick, die Spitze ihrer Zunge zwischen seinen
     Lippen zu spüren. Dann wich sie zurück und sagte: »Keene Angst. Der Kerl da drüben – dat is eener von denen, die ick auflaufen
     lasse, ohne daß se’s merken. Aber ick mag’s, wenn Se eifersüchtig sind. Meinetwegen war noch nie eener eifersüchtig   ...«
    Lamartine fühlte sich ertappt, er wurde wütend. »Erst heute mittag hat mir einer für viel Geld brave Geschichten über Stieber
     angedreht.«
    »Ha’ ick ooch nur eenen Ton über Jeld valauten lassen? Nee!Auch unsereens hat seine großzüjijen Anwandlungen! Ick will Ihnen helfen, und Sie behandeln mir wie eene Betrügerin.«
    »Das   ... das habe ich nicht sagen wollen, Mia!« stammelte Lamartine.
    »Dann is ja jut!« Sie orderte noch einen Schnaps. »Als ick Stieber zum ersten Mal sah, war ick in ’nem kleenen, aber sauberen
     Haus Nähe Friedrichstraße. Ick hab janz jut vadient da, nachts ha’ ick maloocht, tachsüber ha’ ick mir um meinen Bruder und
     meine Mutter jekümmert, wenn Se vastehn   ...«
    Lamartine fragte sich, warum sie immer noch behauptete, der Junge sei ihr Bruder.

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