Stigma
auch nicht zu ihm passte. Dafür war er viel zu eigenwillig. Dennoch schien er über genügend Mittel zu verfügen, um sich ein angenehmes Leben zu ermöglichen. Seine Kleidung mochte ausgefallen und sicher nicht nach jedermanns Geschmack sein, aber sie kam keineswegs von der Stange. Und auch sein Wagen gehörte nicht gerade zur untersten Klasse. Er fuhr einen roten Ford Mustang Fastback GT , Baujahr 1968, mit Chromfelgen und 270 PS , die vermutlich schon im Leerlauf mehr Sprit verbrauchten als ein Panzer bei voller Fahrt im Gelände. Bis auf die Farbe war es das gleiche Modell, das Steve McQueen in Bullitt gefahren hatte. Tom verfluchte sich jedes Mal dafür, dass er nicht Auto fahren konnte, wenn er vor diesem Traum von Wagen stand, der stets den Eindruck erweckte, als käme er gerade fabrikneu vom Händler. Das alles deutete auf einen gewissen Wohlstand hin. Und auf Unabhängigkeit. Die Basis dieser Unabhängigkeit hatte Tom nie zu hinterfragen versucht. Vermutlich weil er fürchtete, sie könnte auf einem illegalen Fundament errichtet worden sein. Stefan war sein Freund. Sein einziger, wie er unzweifelhaft zugeben musste. Und auch wenn ihm diese Freundschaft manchmal etwas absurd und unwirklich erschien, hatte er nicht die Absicht, sie durch die falschen Fragen zu zerstören. Denn sie verkörperte für ihn das, was man als soziale Stabilität bezeichnete, und gab ihm das Gefühl, auf eine gewisse Weise dazuzugehören. Gerade in Momenten wie diesem wusste er das sehr zu schätzen. Wäre da nur nicht Stefans unbequeme Eigenart gewesen, ihn immer wieder auf seine Vergangenheit anzusprechen. Manchmal fand Tom es beinahe penetrant, wie sehr er daran interessiert war.
»Wie kommst du mit deinem neuen Buch voran?«, fragte Fanta nach einigen Sekunden des Schweigens.
Tom, dessen Laune sich augenblicklich verschlechterte, seufzte verlegen. »Im Moment bin ich so ausgebrannt wie ein Heuschober nach einem Funkenflug«, gab er schließlich betreten zu.
»Passiert so etwas Schriftstellern nicht öfter?«
»Sicher gibt es Tage, an denen einem das Schreiben schwererfällt«, gestand Tom ein, »aber diesmal ist es anders. Irgendwie kommt es mir so vor, als … als wäre mir meine Fantasie abhandengekommen.«
»Vielleicht ist sie im Moment bloß durch andere Dinge abgelenkt«, sagte Fanta und sah verstohlen auf die Bierflasche in seiner Hand hinunter.
»Wie kommst du denn darauf?«
»Na ja, ich meine durch Dinge, die dich zu sehr beschäftigen«, wich sein Freund aus.
Tom seufzte. »Karin hat mit dir gesprochen, stimmt’s?«
Fanta räusperte sich kurz. »Sie hat mich gestern Abend angerufen und mir erzählt, was passiert ist. Sie meinte, es würde dir sicher guttun, wenn ich mal vorbeischaue, um dich auf andere Gedanken zu bringen.«
»Warum lassen wir das Thema dann nicht einfach aus?«
»Weil ich finde, dass es wichtig ist, darüber zu reden. Sie hat mir auch von deinen Gedächtnislücken erzählt.«
Toll, dachte Tom. Schlimm genug, dass sein einziger Freund nur auf die Bitte seiner Frau hin hier aufgekreuzt war. Nun hielt er ihn vermutlich auch noch für frühsenil oder, schlimmer noch, für verrückt.
»Tja, anscheinend tut sie in letzter Zeit so einiges, ohne vorher mit mir darüber zu reden.«
»Bist du jetzt sauer auf sie?«
Tom stellte sein Glas auf dem Tisch ab und lehnte sich in den gepolsterten Stuhl zurück. »Nein, natürlich nicht.« Er sah zu Fanta hinüber, der still über seiner Flasche brütete. Beinahe hatte es den Anschein, als wäre er enttäuscht. »Ich … ich habe nur Angst, sie wegen dieser Geschichte auch noch zu verlieren, verstehst du?«
»Könntest du dir ein Leben ohne sie vorstellen?«
Was sollte denn diese Frage? Es war zwar Fantas Art, sehr direkt mit Menschen umzugehen, dennoch sah Tom ihn verwundert an. »Nein. Und das will ich auch gar nicht.«
»Das hab ich mir gedacht«, seufzte Fanta und nahm einen großen Schluck aus seiner Flasche. »Und genau darin liegt dein eigentliches Problem, Alter. Du klammerst dich zu sehr an solche Dinge.«
»Dinge?«, wiederholte Tom aufgebracht. »Du redest hier von meiner Familie.«
»Letztendlich ist es ziemlich egal, ob es um dein Meerschweinchen oder um deine Familie geht, Tom. Das Entscheidende ist, wie sehr du daran festhältst. Und allein deine Reaktion auf diese einfache Frage zeigt mir, dass du mit Verlust, ganz gleich welcher Art, nicht fertigwirst. Es ist das Unverhoffte, das dir zu schaffen macht. Und eben darin liegt der
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