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Stigma

Stigma

Titel: Stigma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Hübner
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mir da zustimmen.«
    »Bist du wirklich dieser Meinung, oder ist das nur wieder eine von deinen Ausreden?«
    »Ich brauche einfach noch mehr Zeit, verstehst du?«
    »Du hattest mehr als genug Zeit«, entgegnete Fanta. »Wie viel willst du noch davon verschwenden, ein ganzes Leben? Weißt du, was ich denke? Du brauchst einfach nur jemanden, der dir mal wieder kräftig in den Arsch tritt und dich aus dem Sessel aufscheucht, in dem du es dir all die Jahre so bequem gemacht hast!«
    »Ach, und dieser Jemand willst du sein?«, entgegnete Tom scharf.
    »Ich habe es schon einmal geschafft, erinnerst du dich?«
    Tom überlegte einen Moment. »Du redest von damals in dieser Buchhandlung, als wir uns das erste Mal begegnet sind?«
    Fanta nickte.
    »Das war etwas ganz anderes.«
    »Nein, Tom, im Grunde ist es dasselbe. Du bist genau wie damals schon wieder dabei, dich auf die Toilette zu flüchten und vor allem davonzulaufen. Nur sind es dieses Mal nicht nur ein paar von deinen Bewunderern, die du damit vergraulst. Dieses Mal schadest du damit den Menschen, denen du wirklich etwas bedeutest! Und für jemanden, der angeblich eine Scheißangst davor hat, verlassen zu werden, ist das ein ziemlich riskantes Verhalten.«
    »Und was soll ich deiner Meinung nach tun?«
    »Mach diese Therapie, Tom! Sie wird dir helfen, dich daran zu erinnern, was damals passiert ist.«
    »Vielleicht will ich mich ja gar nicht mehr daran erinnern!«, schrie Tom wütend und sprang nun ebenfalls von seinem Stuhl auf. »Warum seid ihr alle so versessen darauf? Ihr habt ja keine Ahnung, was sich in mir abspielt, wenn diese schrecklichen Bilder vor meinen Augen auftauchen. Es ist, als würde ich das alles zum ersten Mal durchleben, als würde ich in die Hölle blicken. Ein lähmender Stromschlag aus Todesangst und Entsetzen.« Er hielt einen Moment inne, starrte ängstlich auf seine Fußspitzen. »Ich kann kaum atmen, weil mir die Brust so eng ist, als würde gleich mein Herz zerquetscht. Mir wird fast schwarz vor Augen, und ich hoffe dann jedes Mal, dass ich ohnmächtig werde, damit ich dieses Grauen nicht länger mit ansehen muss. Aber das passiert nicht, und meine Augen sind gezwungen, Dinge zu sehen, die ich mir nicht einmal vorstellen will. Ich kann das nicht, Stefan, nicht noch einmal! Zumindest was diese Blockaden angeht, hat Dr. Westphal völlig recht. Sie sind aus einem bestimmten Grund da, und mittlerweile glaube ich, es ist besser, sie nicht noch weiter einzureißen.«
    »Aber diese Erinnerungen sind womöglich dein Schlüssel für die Welt da draußen, für ein Leben ohne Angst.«
    Tom ging einige Schritte über die Terrasse. Er ließ den Blick über den See gleiten, bis hin zu den Dächern einiger entfernter Häuser, deren Schindeln schuppig in der Sonne glänzten. »Vielleicht habe ich einfach beschlossen, dass die Welt da draußen es nicht wert ist, das alles noch einmal durchzumachen. Es geht mir gut hier.« Bedächtig drehte er sich zu Fanta um. »Ich habe hier alles, was ich brauche.«
    »Und was ist mit diesem Kerl, der dich bedroht?«
    »Das ist Sache der Polizei. Die werden bestimmt auch ohne mich damit fertig.«
    »Na schön«, gab sich Fanta geschlagen und ließ die Enttäuschung deutlich in seiner Stimme durchklingen. Er trat Tom gegenüber, und ihre Gesichter waren nur Zentimeter voneinander entfernt. »Wie du meinst. Verkriech dich nur in deinem Schneckenhaus, und spiel dir und allen anderen weiter was vor, nur um deine Seifenblase nicht zum Platzen zu bringen. Ich hoffe nur für dich, du bist auch bereit, den Preis dafür zu zahlen.«
    »Ist alles in Ordnung bei euch?«, fragte Karin, die den aufgebrachten Stimmen auf die Terrasse gefolgt war.
    »Ist schon gut«, sagte Fanta und stellte seine halb leere Flasche so fest auf dem Tisch ab, dass der Rest daraus hervorschäumte. »Ich wollte sowieso gerade gehen.« Er warf Tom noch einen zornigen Blick zu. Dann kehrte er ihm den Rücken und eilte zurück zum Haus. Wenige Augenblicke später heulte der Motor seines Mustang auf, bis das Geräusch kurz darauf als entferntes Röhren in den Wäldern verhallte.
    »Was war denn los?«, fragte Karin verstört. Sie hielt einen Kartoffelschäler in der Hand, an dem noch Schalenreste hingen. »Ich dachte, Fanta bleibt zum Essen.«
    »Er hat es sich offensichtlich anders überlegt«, antwortete Tom verärgert. »Ruf mich, wenn du fertig bist. Bis dahin wäre ich gerne einen Moment allein.«
    »Ja … natürlich«, sagte sie, noch immer bestürzt.

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