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Stigma

Stigma

Titel: Stigma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Hübner
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schmerzenden Bein sicher keine Linderung beschert hätte. Doch es gelang ihm, sich am Griff der Autotür festzuhalten.
    »Verdammt«, fluchte er leise, während er den Gegenstand genauer unter die Lupe nahm. Verwundert hob er ihn auf und betrachtete ihn im hereinfallenden Tageslicht. Es war sein Spaten. Er war von einer Haut aus getrocknetem Lehm überzogen. An den Rändern bemerkte er Grasreste, die wie grüne Fasern daran klebten. Das allein wäre nicht allzu verwunderlich gewesen, schließlich benutzte er ihn für die Gartenarbeit. Doch normalerweise reinigte er ihn danach und verstaute ihn in dem kleinen Gerätehaus im Garten. Wie also war er hierhergekommen?
    Er schüttelte den Kopf, schenkte dem Ganzen aber keine weitere Beachtung und deponierte den Spaten an der Wand neben dem Wasserschlauch. Vermutlich hatte er ihn reinigen wollen und es dann vergessen. Er würde es später nachholen. Zuerst einmal galt es, die restlichen Lebensmittel ins Haus zu bringen.
    Er griff sich den letzten verbliebenen Einkaufskorb, in dem Eiscreme, tiefgefrorene Kräuter und Gemüse lagen, und betrat durch die Stahltür einen schmalen Flur, der im hinteren Teil nach wenigen Metern auf eine Wand stieß und nach links auswich. Von dort ging er in eine geschwungene Treppe über, die den Flur mit den Kellerräumen verband. Er knipste das Licht an und stieg die hell gefliesten Stufen hinab. Auch dieser Bereich des Hauses war ausgiebig renoviert worden. Tom hatte den Keller so ausbauen lassen, dass Mark ihn später einmal als Wohnraum würde nutzen können. Gleich links neben der Treppe befand sich der Schlafbereich, der bis dahin als Gästezimmer diente. Gegenüber erstreckte sich ein großzügiges Badezimmer mit angrenzender Sauna. Tom schritt daran vorbei und ging weiter den schmalen Gang entlang, dessen Wände weiß verputzt waren. Sogar einige Bilder hatte Karin dort aufgehängt. Nichts hier deutete mehr auf die graue Zweckmäßigkeit eines Kellers hin, was Tom natürlich nicht ganz uneigennützig geplant hatte. Die Räume hier unten nahmen seinem Verstand durch ihre wohnliche Behaglichkeit den tief in ihm verankerten Schrecken eines Kellers. Es funktionierte. Er empfand hier unten keinerlei Angst mehr. Keine Dämonen aus der Vergangenheit, die ihn heimsuchten, keine Schreckensvisionen, die ihn überkamen. Vielleicht sollte ich hier unten einziehen, kam es ihm unverhofft in den Sinn, und er musste bei diesem Gedanken schmunzeln.
    Jetzt betrat er den hinteren Bereich des Kellers, der früher eine Art Werkraum gewesen war. Tom konnte sich noch gut daran erinnern, wie sein Großvater ihn früher hierher mitgenommen hatte. Zusammen hatten sie hier unten Regale und Kisten gebaut. Es waren unbeschwerte Tage gewesen, in denen ein Keller für ihn nichts weiter gewesen war als ein Abstellraum. Doch die Erinnerung daran kam ihm nicht so vor, als läge sie schon viele Jahre zurück. Fast konnte er seinen Großvater noch dort stehen sehen, in seinem ausgewaschenen blauen Overall, der von Farbflecken und Kleberresten übersät war. Er vermisste ihn sehr.
    Wäre ich doch nur nie über diesen verdammten Zaun geklettert, hörte er sich in Gedanken sagen und verfluchte diesen Tag ein weiteres Mal. Es war nicht nur die Angst, die er seitdem empfand. Es waren auch die vielen Erinnerungen, die ihm geraubt worden waren. Diese drei Stunden waren sein persönlicher Ground Zero, in denen die Türme seiner Hoffnung und Unbeschwertheit eingestürzt waren und eine Welt aus Angst und Paranoia zurückgelassen hatten. Eine Welt, die er verabscheute.
    Noch immer hielt er den Korb mit den Lebensmitteln in den Händen, und seine Finger ballten sich um den Tragegriff, bis sie weiß und blutleer waren. Unbändiger Hass stieg schlagartig in ihm auf. Hass auf all die Dinge, die ihm als Kind angetan worden waren. Hass auf die Leere, die diese Dinge in ihm hinterlassen hatten. Das Schlimmste jedoch war, dass es niemanden gab, auf den er diesen Hass richten konnte. Kein Schuldiger, den er dafür büßen lassen konnte. Vielleicht würde es ihm eine gewisse Befriedigung verschaffen, wenn er diesen Mistkerl hinter Gittern verrotten sehen könnte. Doch der Wächter war tot. Er hatte sich jeglicher Verantwortung entzogen. Und damit auch Toms Hass auf ihn. Es gab Dinge, die konnte man nicht verzeihen. Und selbst der Tod eines Menschen reichte nicht aus, sie ungeschehen zu machen. Immer wieder hatte er in all den Jahren versucht, sich einzureden, dass er verdammtes Glück gehabt

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