Stigma
gegen dich.«
»Ach nein? Und warum fühlt es sich dann genau so an?«
»Wir wollen doch nur das Beste für dich.«
»Und ihr glaubt zu wissen, was das ist?«
»So kann es nicht weitergehen, Tom.«
»Und warum nicht?«, fauchte er und schlug mit der Faust auf den Tisch, so dass Karin erschrocken zusammenzuckte. »Vielleicht gefällt es mir ja, so wie es ist. Vielleicht will ich ja gar nichts mehr daran ändern.«
»Das wäre sehr schade, Tom. Ich kann nämlich unter diesen Umständen so nicht weitermachen.«
Toms Augen weiteten sich. »Aha, daher weht also der Wind«, meinte er verächtlich. Er zerknüllte seine Papierserviette und warf sie zornig auf den Tisch. »Weißt du, es ist schon komisch«, meinte er. »Bis vor kurzem hattest du an diesen Umständen absolut nichts auszusetzen. Eigentlich hast du auf mich einen sehr glücklichen Eindruck gemacht, als ich noch schreiben konnte und der Erfolg und das damit verbundene Geld noch alltäglich waren.«
»Was willst du damit andeuten?«, fragte sie empört.
»Na ja, möglicherweise bist du ja plötzlich der Meinung, ich hätte mein Talent verloren und somit auch die Möglichkeit, diesen ganzen Wohlstand hier aufrechtzuerhalten. Ich könnte es dir nicht einmal verübeln, wenn du nicht den Rest deines Lebens damit vergeuden willst, die Pflegemutter für einen Psycho zu spielen, der offensichtlich nicht einmal mehr dazu fähig ist, drei zusammenhängende Sätze in seinen verdammten Computer zu tippen!«
Tiefes Entsetzen erfasste Karin. Sie musste tief Luft holen, um nicht die Beherrschung zu verlieren. »Jetzt wirst du ziemlich unfair, Tom!«
»Ach ja? Dann erklär mir doch mal, was das Ganze hier soll. Als du mich geheiratet hast, wusstest du, worauf du dich einlässt. Also, was ist plötzlich so anders? Oder hast du mich etwa nur aus Mitleid genommen?«
»Nein, Tom«, gab sie wütend zurück und beugte sich energisch zu ihm vor. »Ich bin mit dir zusammen, weil ich dich liebe und weil du eine starke Persönlichkeit bist! Ich war immer glücklich hier und wäre es auch weiterhin. Aber es hat sich einiges verändert. Du hast dich verändert, Tom!«
Er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Das kann man mir nach den jüngsten Geschehnissen wohl auch kaum verübeln. Was wäre ich denn für ein Mensch, wenn mich das nicht verändert?«
»Das meine ich nicht. Es hat schon vorher angefangen.«
»Vorher? Wie meinst du das?«
»Ich meine dein Verhalten, deine ganze Art. Du bist sehr gereizt in letzter Zeit und jähzornig. Du stammelst im Schlaf zusammenhangloses Zeug oder läufst nachts stundenlang durchs Haus, ohne dich am nächsten Tag daran zu erinnern. Dir fehlen neuerdings ganze Tage, von denen du weder weißt, wo du sie verbracht, noch was du in dieser Zeit getan hast. Du steigst auf fremden Grundstücken ein und bestaunst den Schauplatz eines Mordes, als wäre er eine Art Heiligenschrein für dich. Mein Gott, Tom, heute Vormittag hättest du beinahe völlig unkontrolliert auf mich eingeschlagen!« Nervös fuhr sie sich durch das blonde Haar, und ihre Stimme begann zu zittern. »Du bist so unberechenbar geworden, dass ich manchmal nicht mehr weiß, wer vor mir steht. Sogar Mark ist durch dein Verhalten schon ganz eingeschüchtert. Und ich werde auf keinen Fall zulassen, dass er auch in diese Geschichte mit hineingezogen wird.« Sie machte eine Pause und kämpfte verzweifelt gegen die Tränen an. »Ich kann nur erahnen, was das alles in dir auslöst. Und ich müsste lügen, wenn ich behaupte, ich wüsste, was du gerade alles durchmachst. Aber allmählich bekomme auch ich einen Eindruck davon, was es heißt, in ständiger Angst leben zu müssen.«
Tom war wie paralysiert, als diese Worte zu ihm durchdrangen. Es fiel ihm schwer, die Sprache wiederzufinden. »Karin«, sagte er, und es war nicht mehr als ein Flüstern. »Willst du etwa sagen, du … du hast Angst vor mir?«
Karin antwortete nicht. Sie faltete die Hände vor dem Mund, während ihr das Wasser in die Augen stieg. »Tom, bitte …«, flehte sie schließlich, und eine Träne lief ihr über die Wange. »Bitte mach diese Therapie. Wenn schon nicht für dich, dann tu es wenigstens Mark und mir zuliebe. Bitte …«
Tom rührte sich nicht. Es verging gut eine Minute, bis er sich langsam erhob und vom Tisch zurücktrat. Seine Beine fühlten sich an, als hätte er sie seit Wochen nicht benutzt. »Ich …« Er räusperte sich, um seine Stimmbänder aus der Schockstarre zu befreien. »Ich kann mir
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