Still und starr ruht der Tod
Ausgerechnet Susanne, das Mauerblümchen, hat das Rennen gemacht. Da fragt man sich logischerweise, wie das vor sich ging.« Walli schüttelte den Kopf. »Wussten Sie, dass Susanne an Waschzwang leidet? Sie kann nichts anfassen, ohne sich hundertmal die Hände zu waschen. Die absolute Keimphobikerin.«
»Wie verträgt sich das mit ihrer Arbeit im Altenheim?«
»Sie zieht Handschuhe an. Ihren Arbeitgebern und ihren Senioren scheint das nichts auszumachen. Haben Sie sich mal ihre Hände angeschaut? Vollkommen wundgeschrubbt. Artur hat Horst im Vertrauen erzählt, dass er sie zu einem Psychiater geschleppt hat. Sie nahm eine Zeit lang Tabletten, ging zu einem Psycho-Gesprächskreis. Über Nacht brach sie alles ab.« Der Kaffee kam. Walli umschlang ihr Glas mit ihren dünnen, blassen Fingern.
»Hat Susanne mit Ihnen darüber gesprochen?«
»Mit mir nicht. Aber mit Margot ist sie ganz dicke.«
»Ach, tatsächlich?«
»Susanne muss unglaublich frustriert sein!« Walli starrte auf ihre Finger, als könnte sie nicht glauben, dass sie zu ihr gehörten. »Bastelt Weihnachtsschmuck mit sabbernden Alten. Intellektuell hat sie viel mehr auf dem Kasten!«
»Und Sie? Sind Sie auch frustriert?«
Ein Anflug von Ärger huschte über Wallis Gesicht.
»Logisch, dass Sie mich das fragen. Klar. Ich bin frustriert. Ich bin Lehrerin geworden, weil ich Kunst machen, aber gleichzeitig ein gesichertes Einkommen haben wollte. Na, und ziemlich schnell habe ich festgestellt, dass ich mit kichernden Teenies nicht kann und nicht mit Halbstarken, die pro Minute einmal die Wand hochgehen. Jetzt sitze ich in der Tinte. Ich kriege ab und zu einen Auftrag. Aquarelle für Leute mit scheußlichen Wohnzimmern, die von Kunst nichts verstehen. Ich mache das wegen des Geldes, doch künstlerisch bringt es mich nicht weiter.« Sie nippte an ihrem Kaffee. Auf ihren Lippen blieb Milchschaum kleben. »Ich habe von Horst gelebt. Er hat die Miete gezahlt, er hat das Auto gezahlt, er hat sich um alles gekümmert.«
»Hat er für Sie vorgesorgt?«, unterbrach Katinka. »Eine Lebensversicherung vielleicht?«
»Hat mich die Polizei auch gefragt. Er hatte eine Lebensversicherung. Zugunsten seiner Mutter. Horst hatte immer panische Angst, dass seine Mutter pflegebedürftig wird und das Geld nicht reicht, um sie in einem vernünftigen Altenheim unterzubringen.«
»Für Sie bleibt nichts übrig? Nach 12 Jahren?«
Walli zuckte die Achseln. Sie schien sich bereits damit abgefunden zu haben, in Horsts Lebensplanung nach Job und Mutter nur die dritte Geige gespielt zu haben.
»Wenn wir verheiratet wären, würde ich über den Pflichtteil an sein Geld kommen. Er hat Einiges gespart. Und er war ein ziemlicher Geizhals. Wenn wir Urlaub gemacht haben, dann in der billigsten Pension, die man noch ohne Schutzkleidung betreten wollte.« Die Resignation legte sich auf Wallis Stimme und machte sie noch spröder. »Man kennt das: Viele Männer leben für ihre Mütter, nicht für ihre Freundinnen. Rita kann ein Lied davon singen.«
»Rita?« Hellhörig geworden beugte Katinka sich vor.
»Sie hatte vor Jahren eine Beziehung. Aber der Typ war eigentlich mit seiner Mutter verheiratet. Rita hat sich das nicht bieten lassen. Irgendwie ging die Beziehung auseinander.« Walli holte tief Luft, als wollte sie etwas hinzufügen, doch dann presste sie die Lippen fest aufeinander.
»Wer war dieser Mann? Wissen Sie seinen Namen?«
»Da müssten Sie sich an Susanne wenden«, entgegnete Walli. »Eine Zeit lang hat sich Susanne richtig an Rita rangehängt. Susanne besitzt ziemlich viel Empathie. Im Gegensatz zu mir.« Sie lachte bitter. »Deswegen kommt sie mit ihren alten Leutchen so gut klar. Sie kann sich in andere Menschen hineinversetzen und versteht schnell, wo der Hund begraben liegt.«
»Wie lang ist eine Zeit lang?« Katinka leerte ihren Latte macchiato.
»Vielleicht drei, vier Monate? Rita fühlte sich von Susannes inniger Freundschaft erstickt. Sie ist nicht der Typ, der sich anderen anvertraut. Sie behält ihren Kram lieber für sich. Beziehungen werden ihr schnell zu eng. Ich glaube, später hat Margot die Freundinnenrolle bei Susanne übernommen.«
Katinka machte sich im Geist eine Notiz. Von Susanne war in ihrem Gespräch mit Margot keine Rede gewesen. Sie musste unbedingt nach Forchheim.
Walli verabschiedete sich eine Stunde später. Sie hatten über dies und das geredet, aber bald war der Funke, der das Gespräch am Laufen gehalten hatte, erloschen. Auch die vier
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