Still und starr ruht der Tod
Sorgen!«, sagte er lächelnd zu Walli, während er den Stuhl wieder aufrichtete.
Sie setzte sich kleinlaut an den Tisch. »Ich fange schon zu heulen an, wenn irgendein fremder Mensch nett zu mir ist«, flüsterte sie und presste ein Taschentuch auf ihre Augen. »Ich muss Ihnen wahrscheinlich nicht erklären, wie grässlich ich mich fühle. Mit Horst und mir stand es nicht zum Besten. Sobald ich finanziell wieder ein Polster gehabt hätte, hätte ich mich von ihm getrennt. Ihm wäre es recht gewesen.«
»Haben Sie beide darüber gesprochen?«
»Zwischen den Zeilen!« Walli stopfte das Taschentuch in die Tiefen der Stoffbahnen, die sie umgaben. Das strähnige Haar hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengezurrt. »Wir sind zu lange zusammen und zu verschieden. Ich war furchtbar in Horst verliebt. Ich mochte seine Lebendigkeit, die Art, wie er mit Leuten umgehen konnte. Mit den Jahren hat er sich immer mehr verändert.«
»Wie lange waren sie zusammen?«
»12 Jahre. Er hat sich verändert. Die Arbeit machte ihn kaputt. Dieser Materialismus. Eigentlich war das nicht seine Welt.«
Es ist nicht deine Welt, dachte Katinka. Aber seine wohl. Irgendwie projizierst du deine eigene negative Weltsicht in Horst hinein.
»Die Kommissarin sagt, er wäre umgebracht worden. Ich verstehe das nicht. Wer sollte so was tun?«
»Haben Sie eine Vorstellung von dem, was er bei der Bank genau gemacht hat?«
»Na, Kredite zugesagt oder verweigert. Sie vermitteln Angebote, wie Kunden per Kredit Immobilien erwerben können. Allerdings gab es viele Hauskäufer, die sich damit bis über beide Ohren verschuldeten und am Rand des Abgrunds standen. Das ging Horst an die Nieren. Früher hat er öfter mit mir darüber gesprochen. Dass er unter der Knute seines Chefs steht und es ihm schwerfällt, einer Frau einen Kredit zu verweigern, die ihre Konditorei nach dem Tod ihres Mannes aufrechterhalten und zusätzlich die Bankschulden abzahlen muss. Später, so seit vier, fünf Jahren, hat er innerlich aufgegeben. Irgendwie war er geknickt. Ich konnte ihm nicht helfen. Das tut mir jetzt so leid.« Walli nahm ihren Mantel auf den Schoß und kramte nach einem frischen Taschentuch. »Eigentlich wollte er abends nur noch essen und fernsehen.«
Wie Millionen andere deutsche Männer, die nichts mit sich anzufangen wissen, steuerte Katinka in Gedanken bei. Fantasielose Kreaturen, zu keiner Kommunikation fähig, nicht imstande, neue Interessen zu entwickeln. Typen, die sich von ihrem Job überwältigen lassen. Wenn sie Glück haben, sind sie mit einer Frau verheiratet, die ihnen immer wieder in den Hintern tritt.
Sie bestellten beide Latte macchiato. Zwei Frauen betraten angeregt plaudernd das Café und suchten sich einen Platz am Fenster. Zwei Männer folgten ihnen. Zwei Paare. Touristen in Bamberg. Auf Entdeckungstour durch das Weltkulturerbe. Die Herren halfen den Damen aus den Mänteln. Es wurde gelacht und geschäkert. Die Vier schienen ein eingespieltes Team zu sein.
»Haben Sie jemanden, mit dem Sie über alles reden können?«, fragte Katinka.
»Ich bin sogar zur Pfarrerin!« Walli schüttelte den Kopf, als könne sie es selbst kaum glauben. »Ich bin zwar katholisch, aber mit einem Mann wollte ich nicht sprechen. Also habe ich im evangelischen Pfarramt angerufen.«
»Ich dachte, Sie hätten einen ganz guten Draht zu Susanne Schweigau.«
»Mehr oder weniger. Sie kann gut zuhören, die Susanne.«
Katinkas Blick wurde wie magisch von der Clique angezogen. Sie und Hardo hatten so etwas nicht. So einen Freundeskreis. Nicht einmal einen ganz kleinen. Waren sie für sich, bedeutete es Privatleben. Wenn sie mit anderen unterwegs waren, bedeutete es Job.
»Susanne ist ein unberechenbarer Charakter. Manchmal kommt man prima mit ihr aus, manchmal ist sie empfindlich und kompliziert. Wissen Sie, ich dachte, ich tue Horst einen Gefallen, wenn ich ihn zu den Treffen mitschleppe. Außer dem Fresszirkel hatte er keine Freunde. Nur Artur, Ivo, Günther. Wobei … Günther ist ein Spinner. Bei dem weiß man nie, ob das, was er sagt, wirklich so gemeint ist. Ich mag ihn trotzdem.« Walli nagte an ihrer Unterlippe. »Bloß Susanne … die ist ein schwieriger Fall. Ehrlich gesagt verstehe ich nicht, wie sie Artur dazu gekriegt hat, sie zu heiraten. Vielleicht hat sie eine Schwangerschaft vorgetäuscht.«
Katinka lachte laut auf.
»Doch, echt! Artur hatte an jedem Finger drei Frauen, die alles für ihn getan hätten, damit er sie zum Traualtar schleppt.
Weitere Kostenlose Bücher