Still und starr ruht der Tod
anderen Gäste schlüpften wieder in ihre Mäntel und verließen kichernd und Witzchen reißend das Café. Katinka dachte zum ersten Mal seit dem ersten Advent daran, dass in vier Tagen Heiligabend war, und dass sie nicht das kleinste Geschenk für Hardo hatte.
36
»Ja, das stimmt, Susanne hat sich eine Weile sehr für mich interessiert«, bestätigte Margot Scheinfelder. Es war kurz nach sechs Uhr abends. Katinka hatte die Frau nach Dienstschluss vor dem Forchheimer Rathaus abgepasst. Der Weihnachtsmarktrummel schien in die entscheidende Phase einzutreten. Die Atmosphäre war nun nicht mehr nur von Punschdüften und Bratwurstgeruch getränkt, sondern auch von Hast und Nervosität.
»Ich muss schleunigst los, Weihnachtsgeschenke für die Neffen und Nichten besorgen«, sagte Margot. Es klang ironisch, doch Katinka war sicher, dass die Frau keine Witzchen riss. Ihr war es ernst.
»Warum nur eine Weile?«
»Das müssen Sie Susanne fragen. Über Nacht war ich nicht mehr gut genug. Erst hat sie sich ein halbes Jahr bei mir ausgeheult. Artur hier, Artur da, Artur überall.«
»Ach!«
»Sie haben doch Augen im Kopf, Frau Palfy! Er rennt allem nach, was einen Rock trägt. Wenn Sie verstehen, was ich meine.«
Wie sollte ich das nicht verstehen, dachte Katinka belustigt.
»Also gut, trinken wir einen Glühwein? Wie wär’s?« Margot sah Katinka fragend an.
Sie stellten sich an eine Bude. Katinka roch misstrauisch an dem Gesöff. Mit Punsch hatte sie rein beruflich keine guten Erfahrungen gemacht. Das Zeug konnte zur Tatwaffe werden.
Susanne und Artur hatten, so berichtete Margot, eine Blitzhochzeit hingelegt. Jeder ihrer Freunde rechnete damit, dass Susanne schwanger wäre, was sich als falsch herausstellte. Artur jedenfalls, vor der Eheschließung bereits als Schwerenöter bekannt, änderte seine erotischen Freizeitaktivitäten als verheirateter Mann keineswegs. Er hielt sich weiterhin mindestens eine Geliebte nebenher.
»Ich denke manchmal, er hat geheiratet, damit er seinen Nebenfrauen von Anfang an unmissverständlich klarmachen kann, dass nichts läuft außer Sex. So vermeidet er Stress mit jenen Damen, die sich mehr erhoffen.«
»Mit seiner Frau bekommt er aber wahrscheinlich Ärger, wenn er so weitermacht, schätze ich«, sagte Katinka.
»Die Affären, die zu Susanne durchsickern, sind bloß die Spitze des Eisbergs. Was hat mir das Mädel die Ohren vollgeheult!« Margot senkte die Stimme. »Wissen Sie, sie hat ihre Mutter früh verloren, ist mit ihrem Vater und zwei älteren Brüdern aufgewachsen. Sie suchte eine Ersatzmutter. Allerdings ist Susanne ziemlich sprunghaft. Wenn ihr irgendwas nicht behagt, macht sie dicht. Von einem Tag auf den anderen war ich abgeschrieben!« Margots Wangen färbten sich rot.
»Tatsächlich?«
»Ja!« Empört betrachtete Margot ihren leeren Becher. »Den Herbst über haben wir ab und zu zusammen einen Prosecco getrunken oder uns ein Abendessen geleistet. Ohne die anderen Literaten aus unserem Kreis. Das war immer wunderschön, so zu quatschen, unter Freundinnen. Seit dem Treffen am 5. Dezember ist es damit plötzlich aus und vorbei. Sie blockt meine Anrufe ab, hat angeblich keine Zeit, ist immer kurz angebunden.«
»Gibt es dafür irgendeinen Anlass?«
Margot breitete beide Arme in einer hilflosen Geste aus. »Wenn ich das wüsste! Habe ich was Falsches gesagt? Sie verärgert? Susanne ist so empfindlich. Bei ihr muss man jedes Wort auf die Goldwaage legen. Ein paar Tage später hat mir Walli gesteckt, dass Susanne mit einem Mal ganz dicke mit Irmi ist!«
»Mir scheint, als würden Ritas Charakterstudien in jeder Hinsicht zutreffen. Sie haben sie doch gelesen?«
Margot warf Katinka einen empörten Blick zu. »Was für ein Schwachsinn!«
»Würden Sie Susanne krankhaft sprunghaftes Verhalten unterstellen?«, fragte Katinka.
Margot winkte ab. »Wenn ich das wüsste! Leute mit Zwängen sind meiner Ansicht nach unberechenbar.« Sie beugte sich vor. »Artur hat gehofft, dass mit ein paar Tabletten und ein, zwei Plauderstündchen bei der Psychologin das Problem aus der Welt geschafft ist. Das hat sich als unrealistisch erwiesen. Soll sie sich die Haut von den Fingern schrubben. Sind ja ihre Hände!«
»War er sauer auf Susanne, weil sie die Therapie abgebrochen hat?«
»Ach, ich glaube, er hat einfach seinen Fokus auf andere Dinge gerichtet.«
»Wie geht Susanne mit seinen Affären um?«
»Das müssen Sie Irmi fragen.«
»Rita hatte vor ein paar Jahren
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