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Stille Nacht

Stille Nacht

Titel: Stille Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
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richtig unten in ihrer Schultertasche verschwunden war. Noch
während er hinsah, fiel es zu Boden.
    Er machte kehrt, um das Portemonnaie aufzuheben, aber
bevor er danach greifen konnte, streckte sich eine Hand nach
unten aus und packte es. Brian sah, daß die Hand zu einer
mageren Frau mit einem dunklen Regenmantel und einem
langen Pferdeschwanz gehörte.
    »Mom!« sagte er eindringlich, aber alle hatten wieder zu
singen angefangen, und sie wandte nicht den Kopf. Die Frau, die
das Portemonnaie an sich genommen hatte, begann durch die
Menschenmenge zu entschlüpfen. Instinktiv nahm Brian die
Verfolgung auf, da er besorgt war, er könnte sie aus den Augen
verlieren. Er drehte sich um und wollte erneut nach seiner
Mutter rufen, aber sie sang jetzt auch mit den anderen mit: »O
du fröhliche, o du selige…« Alle sangen so laut, daß ihm klar
war, sie würde ihn nicht hören können.
    Eine Sekunde lang zögerte Brian, als er über die Schulter zu
seiner Mutter hinüberblickte. Sollte er lieber zurücklaufen und
sie holen? Aber er dachte wieder an die Medaille, die seinem
Vater helfen würde, gesund zu werden; sie steckte in dem
Portemonnaie, und er durfte nicht zulassen, daß sie gestohlen
wurde.
Die Frau war bereits dabei, um die Ecke zu verschwinden. Er
rannte los, um sie noch einzuholen.
    Warum hab ich es nur aufgehoben? dachte Cally voller Panik,
während sie auf der Achtundvierzigsten Straße nach Osten in
Richtung Madison Avenue hastete. Sie hatte ihre Absicht
aufgegeben, die Fifth Avenue hinunterzugehen, um den
Straßenverkäufer mit den Puppen zu finden. Statt dessen lenkte
sie ihre Schritte zur Untergrundbahn der Lexington Avenue. Ihr
war bewußt, daß es schneller gewesen wäre, nach Norden zu der
U-Bahn an der Einundfünfzigsten zu gehen, aber das
Portemonnaie fühlte sich wie ein heißer Ziegelstein in ihrer
Manteltasche an, und es kam ihr so vor, als blicke sie jeder
vorwurfsvoll an, wohin sie sich auch wandte. Grand Central
Station war mit Sicherheit total überfüllt. Dort würde sie in die
U-Bahn steigen. Es war ein Ort, der mehr Sicherheit bot.
    Ein Streifenwage n fuhr an ihr vorbei, als sie nach rechts um
die Ecke ging und die Straße überquerte. Trotz der Kälte hatte
sie zu schwitzen angefangen.
    Das Portemonnaie gehörte wahrscheinlich dieser Frau mit den
kleinen Jungen. Es lag direkt neben ihr auf dem Boden. Cally
dachte an den Moment zurück, als sie die schlanke junge Frau in
dem rosafarbenen und, wie sie an den umgeschlagenen Ärmeln
sehen konnte, pelzgefütterten Allwettermantel erblickt hatte.
Der Mantel war ohne Zweifel teuer, genauso wie die
Umhängetasche der Frau und ihre Stiefel; das dunkle Haar, das
ihr bis zum Mantelkragen reichte, glänzte schön. Sie sah nicht
so aus, als könnte sie die geringste Sorge auf der Welt haben.
    Cally hatte gedacht: Ich würde gerne genauso aussehen. Sie
ist etwa so alt und so groß wie ich, und wir haben fast die
gleiche Haarfarbe. Na schön, vielleicht kann ich mir ja nächstes
Jahr hübsche Kleider für Gigi und mich leisten.
    Dann hatte sie den Kopf gewandt, um einen Blick auf die
Schaufenster von Sak’s zu werfen. Zwar habe ich nicht gesehen,
daß ihr das Portemonnaie herunterfiel, dachte sie. Aber als sie
an der Frau vorbeigegangen war, spürte sie, wie ihr Fuß an
etwas stieß, und sie hatte nach unten geschaut und es dort liegen
sehen.
    Warum hab ich sie nicht einfach gefragt, ob es ihr gehört?
warf sich Cally gequält vor. Doch dann war ihr sofort wieder
eingefallen, wie Grandma eines Tages ganz gedemütigt und
erregt nach Hause gekommen war. Sie hatte eine Geldbörse auf
der Straße gefunden, sie dann aufgemacht und den Namen und
die Adresse der Besitzerin darin gefunden. Drei Blocks weit war
sie gelaufen, um die Börse abzugeben, obwohl ihre Arthritis
damals schon so schlimm war, daß ihr jeder Schritt weh tat.
    Die Inhaberin des Portemonnaies hatte es durchgesehen und
behauptet, es fehle ein Zwanzig-Dollar-Schein.
Grandma war völlig außer sich gewesen. »Sie hat mich
praktisch eine Diebin genannt.«
    Diese Erinnerung hatte Cally genau in dem Moment
überwältigt, als sie das Portemonnaie berührte. Angenommen,
es gehörte der Lady in dem rosaroten Mantel und sie dachte nun,
Cally habe es ihr aus der Tasche gezogen oder Geld
rausgenommen? Was, wenn sie die Polizei holte? Die würde
dann herausfinden, daß sie noch Bewährung hatte. Sie würde ihr
genausowenig Glauben schenken,

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