Stille Sehnsucht
Futter für Bounty bereitstellte und sich dann ums Tischdecken kümmerte.
„Das ist Graces Verdienst“, antwortete Tyler und holte Besteck aus der Schublade, um es ihm zu reichen. „Als sie bei mir einzog, lebte ich eigentlich nur von Pizza und Fertiggerichten. Sie kochte lieber frisch und hat dann für mich mitgekocht. Im Gegenzug habe ich dafür die Küche aufgeräumt. Irgendwann bat ich sie, es mir beizubringen. Wir kommen durch unsere Arbeit zwar kaum dazu, aber wenn, dann kochen und essen wir gemeinsam.“
„Wie eine Familie“, murmelte Niko und platzierte das Besteck um die Teller. Er zuckte zusammen, als Tyler ihn überraschend umarmte und an sich zog, um ihm einen Kuss in den Nacken zu geben.
„Zu der du jetzt dazugehörst.“
Als er mit Tyler zwei Stunden später im Krankenhaus ankam, hatte Niko immer noch an dessen letztem Satz zu knabbern. Familie. Ein Begriff, der ihm irgendwie fremd war. Selbst als Alex und er damals das Haus ihrer Eltern verlassen und bei Mikael und Colin ein vorübergehendes Zuhause gefunden hatten, waren sie auf eigenen Wunsch hin nie richtig integriert gewesen. Ein wenig fühlte sich Niko zwar, als würde er zu den Corvins, Kendalls und wie sie alle hießen gehören, aber eben nur ein wenig.
Niko wusste nicht, wie er mit Tylers Worten umgehen sollte. Er war schon völlig damit überfordert, zu Mikael und Colin zu gehören. Ein kleiner Teil der Familie seines Bruders zu sein. Alex und er hätten mehr haben können, das wusste Niko. Stattdessen hatten sie aus Angst jeden Vorstoß von Mikael, ihnen ein Vater zu sein, abgeblockt.
Niko stand seit vielen Jahren in einem von ihm selbst gewählten Abseits, auch wenn Mikael, Colin oder Adrian ihm ein paar Takte erzählen würden, wüssten sie, dass er so dachte. Aber das änderte nichts an der Tatsache, dass es nun mal so war und Niko hatte keine Ahnung, wie er damit umgehen sollte, ab sofort auch noch zu Tylers und Graces Familie zu gehören.
Tyler ließ ihn am Fahrstuhl zurück, um nach Grace zu suchen und sich auf den neuesten Stand zu bringen, und Niko schlug den Weg zur Cafeteria ein, um sich etwas zu trinken zu besorgen. Mit einem Cappuccino in der Hand, machte er sich auf den Weg zum Treppenhaus, um aufs Dach zu gehen. Er wollte noch etwas Zeit für sich haben, bevor er mit Mikael redete.
Sein Bruder schien die gleiche Idee gehabt zu haben, denn als Niko die Tür zum Dach öffnen wollte, wurde sie von außen aufgezogen und er stand überraschend Mikael gegenüber.
„Hi“, sagte er leise und wurde nervös, als Mikael nicht antwortete. „Bist du sehr sauer?“, fragte Niko und bekam erneut keine Antwort. Niko sah auf den Cappuccino in seiner Hand. Vielleicht war es doch keine so gute Idee, jetzt schon mit seinem Bruder zu reden. Niko drehte sich um. „Ich lasse dich wieder allein.“
„Warte bitte.“ Mikael hielt ihn am Arm zurück. „Ich bin nicht mehr sauer, Niko. Ich bin enttäuscht und frage mich, was ich bei dir und Alex alles falsch gemacht habe, dass ihr mir so wenig vertraut habt. Dass du es immer noch nicht tust.“
„So ist das nicht.“ Niko sah auf und gleich wieder weg, um den Deckel vom Cappuccinobecher abzumachen und einen Schluck zu trinken. Es war gar nicht so einfach, die richtigen Worte zu finden. „Es liegt nicht an dir. Du hast nichts falsch gemacht. Wir... Alex und ich...“ Niko zuckte hilflos die Schultern. „Wir sind einfach so. Ich bin so.“
„Und du willst nicht mit mir über den Grund reden.“ Es war eine Feststellung, keine Frage. Mikael kannte ihn ziemlich gut.
„Nein“, gab Niko zu und überlegte kurz. „Irgendwann vielleicht, wenn ich weiß, wie ich damit umgehen soll.“
„Womit umgehen?“
Niko lehnte sich seufzend gegen die Wand und spielte mit seinem Cappuccinobecher. „Wir haben geredet. Tyler und ich, meine ich. Er hat mir einige Dinge an den Kopf geworfen, die mir nicht gefallen haben. Ich muss darüber nachdenken.“
„Hatte er recht mit seinen Vorwürfen?“, wollte Mikael wissen und lehnte sich neben ihn.
„Das weißt du doch.“
„Niko...“
„Schon gut“, murmelte Niko und sah kurz zu Mikael, der ihn abwartend anschaute, um dann auf den Boden zu starren. „Ja, das hatte er. Wir haben über unseren Vater gesprochen, über Alex, über dich...“ Niko stockte kurz. „Unsere Beziehung, die wir erst mal geheim halten, weil Tyler vielleicht seinen Job verliert, wenn herauskommt, dass er schwul ist.“
„Was? Scheiße.“ Mikael zog ein finsteres
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