Stille Sehnsucht
Gesicht, als Niko zu ihm schaute. „Dass es so etwas überhaupt noch gibt. Wir leben im 21. Jahrhundert und trotzdem kann sich dein Bulle nicht outen, weil er ein leitender Beamter ist und Homosexualität für genug Menschen immer noch schlimmer, als die Tatsache, dass Tyler seit Jahren allen vorgaukelt, mit seiner Schwester ins Bett zu gehen. Habe ich was vergessen?“
Niko sah Mikael fassungslos an. „Woher weißt du das alles?“
Sein Bruder verdrehte frustriert die Augen und klaute sich seinen Cappuccino, um etwas zu trinken. „Genauso eklig wie der Kaffee hier“, nörgelte er und Niko musste grinsen. „Ich habe dir doch erzählt, dass wir mit Tyler gesprochen haben. Er hat es uns erzählt.“ Mikael stieß sich von der Wand ab und stellte sich vor ihn. „Niko, die gesamte Familie weiß längst über euch Bescheid. Hättest du gleich mit ihm gesprochen, anstatt wie üblich lieber die beleidigte Leberwurst zu spielen, hättest du dir eure Streiterei wegen Grace sparen können.“
Niko hatte seinen Widerspruch schon auf der Zunge, schluckte ihn aber bei Mikaels tadelndem Blick wortlos hinunter. „Ich weiß.“
„Nur fürs Protokoll, ich finde es super, dass Tyler und du eine Beziehung führen wollt.“
Oh oh. Niko ahnte Schlimmes. „Mik...“
Mikael schmunzelte. „Schon gut, ich werde jetzt keine tausend Fragen stellen. Aber ich werde glucken und ihn in Grund und Boden stampfen, wenn er dir wehtut.“
„Mik!“, entrüstete sich Niko und sein Bruder lachte. „Das ist nicht lustig.“
„Apropos lustig...“ Mikael nahm noch einen Schluck Cappuccino. „Deine Erwähnung von Australien war nicht lustig. Ganz und gar nicht.“
Niko verzog beschämt das Gesicht. „Es tut mir leid. Ich weiß, dass das unterhalb der Gürtellinie war. Ich war nur so sauer auf dich, weil du dich ständig in mein Leben einmischst.“
„Niko...“ Mikael fuhr sich durch die Haare. „Ich werde mich immer einmischen, das ist genetisch bedingt. Du bist nun mal mein Bruder.“
„Ich will aber nicht, dass du dich einmischt, okay? Ich bin erwachsen“, murrte Niko und spürte, wie er langsam wütend wurde.
„Selbst wenn du fünfzig wärst, ich kann nicht anders.“
„Dann versuch's, verdammt noch mal!“
„Niko!“
„Was?“
Mikael lächelte schief. „Ich liebe dich. Egal, wie sauer du auf mich bist oder wie sehr du mich anschreist, wenn wir miteinander streiten. Ich werde dich immer lieben, kleiner Bruder.“
Niko öffnete den Mund und schloss ihn schweigend wieder, weil er einfach nicht wusste, was er darauf sagen sollte. Stattdessen nahm er Mikael den Cappuccino weg und trank selbst einen Schluck, um seinen Bruder dann schmollend anzusehen. „Wie soll ich mich denn mit dir streiten, wenn du solche Sachen sagst?“, grummelte er schließlich und Mikael lachte. „Idiot.“
Sein Bruder hob eine Hand und strich ihm liebevoll über die Wange. „Müssen wir denn immer streiten?“
„Ich streite eben gern“, antwortete Niko trotzig.
„Oh ja, ich weiß“, gluckste Mikael und zog ihn in eine Umarmung.
Niko ließ es zu, genauso wie das Lächeln, das in ihm aufstieg. Er hatte ein Zuhause. Sogar zwei, wenn er Tyler und Grace mitzählte. Vielleicht musste er gar nichts tun, um dazuzugehören. Vielleicht reichte es, wenn er einfach ein bisschen weniger zankte und stattdessen ein bisschen mehr zuhörte, anstatt mit allen Mitteln seinen Dickkopf durchzusetzen. Und es konnte garantiert nicht schaden, in Zukunft ein wenig präsenter zu sein, statt sich immer abzukapseln.
„Die Einladung ins Kino. Steht die eigentlich noch?“
Mikael löste sich ein Stück von ihm, sodass sie sich ansehen konnten. „Nur wir zwei?“
Wollte Mikael mit ihm allein sein, oder war die Frage allgemein gestellt? Niko zuckte hilflos mit den Schultern, weil er es nicht wusste, aber auch nicht fragen wollte. Es war ihm schlichtweg peinlich zugeben zu müssen, dass er Mikael im Moment überhaupt nicht einschätzen konnte. „Colin kann ruhig mitkommen, wenn er will.“
„Fragst du Tyler, ob er Lust hat?“ Mikael grinste. „Ich würde meinen zukünftigen Schwager gern etwas privater kennenlernen.“
„Mikael...“, fing Niko warnend an, aber sein Bruder ließ ihn nicht ausreden.
„Wir könnten vorher ausgehen. Du weißt schon, eine Einladung zum Essen, damit ich ihm so richtig schön auf den Zahn fühlen kann.“
„Mik!“
Mikael fing an zu lachen.
- 11. Kapitel -
Die Wochen vergingen.
Aus Mai wurde Juni, aber niemand zog
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