Stille Sehnsucht
Er war selten bereit, Kompromisse einzugehen. Er behielt am liebsten das letzte Wort, selbst wenn er unrecht hatte. Genau wie Tyler, hatte Colin ihn längst durchschaut und den Trotz, die Abwehr und die Zickigkeit als das erkannt, was sie in Wirklichkeit waren – Angst und Unsicherheit.
Und durch den Zusammenbruch heute, wusste seine Familie jetzt auch, was der Grund dafür war. Warum er sich teilweise aufführte, wie ein bockiges Kleinkind, das neben seiner eigenen keine andere Meinung zuließ.
Mikaels Worte, und Niko hatte ganz schön schlucken müssen, nachdem sein Bruder sie ausgesprochen hatte. Er schluckte jetzt noch, was der Grund dafür war, dass er mittlerweile im Bett saß und die Decke zwischen seinen Fingern zu einer Wurst zerknüllte. Wie konnten sie bloß so abfällig über ihn reden und sich trotzdem gleichzeitig Sorgen um ihn machen? Er verstand es nicht. Er begriff nicht, wie sie das fertigbrachten, während er sich selbst im Moment überhaupt nicht leiden konnte.
Dreißig Minuten Lauscherei hatten gereicht, um Niko auf dem Silbertablett zu präsentieren, was für ein Arsch er eigentlich war. Ein sehr schmerzhafter Augenöffner, auf den Niko gern verzichtet hätte.
„Ich schätze, du hast gelauscht.“
Niko verzog den Mund zu einer Grimasse, sparte sich aber einen Kommentar auf Tylers Worte, der daraufhin leise die Tür schloss und sich wenig später neben ihn auf die Bettkante setzte.
„Sie haben nichts gesagt, was du nicht schon wusstest, oder?“
Niko schwieg.
„Tut es sehr weh?“, fragte Tyler und legte danach eine Hand über seine, um mit dem Daumen über seine Haut zu streicheln und ihn gleichzeitig daran zu hindern, die Bettdecke weiter zu zerknüllen. „Hey, sag' mal was. Muss auch nichts Intelligentes sein.“
„Arsch.“
Tyler gluckste. „Das stimmt. Den hast du. Einen recht knackigen sogar. Mir gefällt er.“
Niko zog seine Hand von Tylers weg und sah wütend auf. „Was stimmt eigentlich nicht mit dir? Meine Familie hält mich für einen Freak, womit sie sogar recht hat, und du lachst, obwohl ich dich beleidige.“
„Du bist kein Freak.“
„Mann, Tyler.“ Niko stöhnte frustriert. „Du weißt sehr gut, wie das gemeint war, aber schön, dann bin ich eben nicht ganz dicht. Zufrieden? Als ob es einen Unterschied macht, wie man es nennt. Ich bin...“
„Eine Nervensäge. Ein Besserwisser. Ein egoistischer, arroganter und eingebildeter Mistkerl“, unterbrach Tyler ihn unwirsch und sah ihn böse an. „Reicht dir das? Oder soll ich weitermachen mit all den Beleidigungen, die dir gerade durch den Kopf gehen. So siehst du dich selbst doch, habe ich recht? Du siehst immer nur das Schlechte. Kein Wunder, wenn ich bedenke, was ich gerade von deiner Familie im Bezug auf euren Vater erfahren habe, aber ganz ehrlich, Niko, es nervt. Du hast auch andere Charaktereigenschaften. Gute.“
„Ach ja? Welche? Abgesehen davon, dass ich kochen kann und gut genug im Bett bin, dass es für dich reicht“, fragte Niko bissig, worauf sich Tylers Blick bedenklich verfinsterte. „Sorry, aber ich habe leider nicht viel mehr zu bieten, als einen knackigen Arsch, wie du es eben so treffend... hmpf...“ Niko schob das Kopfkissen beiseite, das Tyler ihm um die Ohren gehauen hatte, und richtete sich wieder im Bett auf. Also das war ja wohl der Gipfel der Frechheit. „Hast du sie noch alle? Was soll denn...?“ Wieder landete das Kopfkissen mitten in seinem Gesicht. „Verdammt, Tyler! Lass diesen Scheiß!“, schimpfte Niko und hielt das Kissen diesmal fest, während er versuchte, aus Tylers Reichweite zu kommen.
„Ähm... Störe ich?“
„Ja!“
„Nein.“
Niko sah von Mikael, der in der Tür stand, zu Tyler, der die Frage seines Bruders verneint hatte. „Schluss mit dem Blödsinn!“, befahl er dann herrisch und zog an dem Kissen. Tyler ließ so überraschend los, dass Niko keine Chance hatte sich abzufangen. Mit einem erschrockenen Aufschrei fiel er hintenüber aus dem Bett. Der Aufprall auf dem Teppich presste Niko für einen Moment die Luft aus der Lunge. Im nächsten stöhnte er schmerzerfüllt auf und verzog das Gesicht. „Au.“
„Oh Scheiße, Niko? Ist alles okay?“, fragte Mikael und hockte sich neben ihn.
Sich den Rücken reibend, setzte Niko sich wieder auf und sah abwechselnd zwischen Mikael und Tyler umher. Er stutzte, als er das Zucken von Mikaels Mundwinkeln bemerkte. „Wenn du jetzt auch noch lachst, dann...“
„Sorry, sorry...“ Mikael lachte los, als
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