Stille Sehnsucht
Niko versucht hat. Aber deshalb würde ich ihn nicht an die Wand klatschen.“
„Weil ein mieser Plan wie dieser, zum Charakter eures Vaters passt“, meinte Adrian trocken. „Er müsste mehr tun, um dich wirklich zu schocken, oder?“
„Ja“, antwortete Mikael nachdenklich. „Ich werde das komische Gefühl nicht los, dass es nicht nur darum ging, mich zu ruinieren. Niko verschweigt uns noch mehr.“
„Und so wie wir ihn kennen, wird er zuschnappen wie eine Auster, sobald du ihm deshalb auf den Zahn fühlst.“
„Adrian“, murmelte David leicht tadelnd und seufzte anschließend. „Sieh mich nicht so an, ich weiß auch, dass er ein Dickschädel ist, aber er wird Gründe dafür haben, Mik nicht alles zu sagen. Gute Gründe.“
„Gerade das befürchte ich.“
„Adrian...“
„Er hat doch recht“, mischte sich Colin resigniert ein. „Niko ist sturer, als gut für ihn ist. Das haben wir vorhin gesehen. Ich will mir gar nicht ausmalen, wie viel Angst er haben muss, um lieber einen Nervenzusammenbruch in Kauf zu nehmen, statt uns um Hilfe zu bitten.“ Colin schwieg kurz. „Er erinnert mich an mich selbst.“
Niko verzog ertappt das Gesicht. Da hatte Colin nicht unrecht. Sowohl mit der Tatsache, dass er zu stur war, als auch damit, dass Colin und er sich in dieser Hinsicht ziemlich ähnlich waren.
„Und wie sollen wir ihm helfen, wenn er nicht mit uns redet?“ Adrian klang frustriert. „Wenn da wirklich mehr ist, müssen wir das wissen.“
„Wir können ihn schlecht zwingen“, warf Mikael ein. „Redet er denn mit Tyler? Wisst ihr da was?“
„Keine Ahnung, aber ich hoffe es. Tylers Blick nach zu urteilen, wird er definitiv ein paar Fragen stellen, sobald er auftaucht. Vielleicht sollten wir es ihm überlassen. Er scheint Niko eher zu erreichen als wir.“
Niko biss sich auf die Unterlippe, weil sie auf einmal zitterte. War er wirklich so ablehnend und störrisch, wie es sich aus Colins Mund gerade anhörte? Ja, das war er, musste sich Niko gegen seinen Willen eingestehen. Eine Erkenntnis, die dafür sorgte, dass ihm die Tränen in die Augen stiegen. Er wischte sie trotzig beiseite.
„Mik? Worüber grübelst du?“
„Immer noch Nikos Worte am Telefon.“
Niko erstarrte.
„Und?“, fragte Colin. „Ich kenne diesen Blick. Du hast eine Idee und sie gefällt dir ganz und gar nicht.“ Mikael schwieg. „Mik?“, hakte Colin beunruhigt nach. „Was ist?“
„Mir fällt nur eine Sache ein, wegen der ich meinen Vater ohne schlechtes Gewissen an die Wand klatschen würde. Wenn er sich an jemandem aus meiner Familie vergreift. Kilian, dich oder Niko. Wenn er diese Grenze überschreitet, würde ich ganz andere Sachen tun, als ihn nur gegen eine Wand zu klatschen.“
Scheiße. Niko schlug sich die Hand vor den Mund, als ein entsetztes Stöhnen in seiner Kehle aufstieg. Er durfte jetzt kein Geräusch machen und damit verraten, dass er wach war. Sein Bruder durfte nicht erfahren, wie dicht er mit seiner Vermutung an der Wahrheit lag. Niko konnte den letzten Trumpf, den er gegen seinen Vater noch in der Hand hatte, nicht aufgeben. Alex und er hatten alles riskiert, um an diese CD zu kommen. Eines Tages würde es eine Gelegenheit geben, sie einzusetzen, aber bis es so weit war, durfte niemand davon wissen.
„Mein Gott... Du glaubst, dass er...?“ David brach ab.
„Ich weiß es nicht“, sagte Mikael. „Aber es wäre eine Erklärung, warum die Zwei das länger als ein Jahrzehnt für sich behalten haben.“
Colin räusperte sich. „Wenn du recht hast, verwette ich mein letztes Hemd, dass Alex bis zu seinem Tod eine schützende Hand über Niko gehalten hat und jetzt, wo diese Hand weg ist, denkt euer Vater, dass er freie Bahn hat. Es würde Nikos Veränderung erklären.“
„Welche Veränderung?“
Tyler. Nikos Herz setzte für einen Schlag aus.
- 13. Kapitel -
Eine halbe Stunde später stand Niko kurz davor, sich mithilfe des Bettlakens aus dem Fenster abzuseilen, um Tyler zu entgehen, der garantiert gleich hier auftauchen und ihn in die Mangel nehmen würde. Nachdem, was er in den letzten dreißig Minuten gehört hatte, war es für Niko fast ein Wunder, dass seine Familie ihn überhaupt so lange in Ruhe gelassen hatte.
Colin hatte seinen Charakter so schonungslos ehrlich, direkt und leider auch verletzend beschrieben, dass Niko alle fünf Minuten den Drang hatte unterdrücken müssen, nach nebenan zu stürmen und zu widersprechen, obwohl Colins Einschätzung stimmte. Er war stur.
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