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Stille Tage in Clichy

Titel: Stille Tage in Clichy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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mich seltsam an. «Ich habe ihn im Brotkasten versteckt.»
    «Dann hast du also schon vorher ihre Handtasche durchwühlt, was?»
    «Ich habe nur nach ein bißchen Kleingeld gesucht», sagte er und ließ den Kopf hängen, als geniere er sich.
    «Das glaube ich dir nicht», sagte ich. «Da mußt du schon einen anderen Grund gehabt haben!»
    «Du bist ziemlich helle, Joey», erwiderte er fröhlich, «aber hin und wieder entgeht dir doch etwas. Erinnerst du dich, wie sie sich niederhockte, um Pipi zu machen - dort bei den Festungswällen? Da hatte sie mir die Handtasche zum Halten gegeben. Ich fühlte etwas Hartes darin, etwas wie eine Waffe. Ich sagte nichts, denn ich wollte dich nicht erschrecken. Aber als du anfingst, sie hierher zu lotsen, bekam ich es mit der Angst zu tun. Und als sie ins Badezimmer ging, machte ich die Handtasche auf und fand die Kanone. Sie war geladen. Hier sind die Patronen, wenn du mir nicht glauben willst. ..»
    Ich schaute verblüfft darauf. Mir lief es kalt den Rücken herunter.
    «Sie muß wirklich verrückt gewesen sein», sagte ich und stöhnte erleichtert.
    «Nein», sagte Carl, «sie ist gar nicht verrückt. Sie tut nur so. Und ihre Gedichte sind auch nicht verrückt - sie sind lunatical . Vielleicht hat man sie hypnotisiert; vielleicht hat irgendwer sie in Tiefschlaf versetzt, ihr die Kanone in die Hand gedrückt und ihr befohlen, zweihundert Francs herbeizuschaffen.»
    «Du bist ja selber verrückt», rief ich.
    Er sagte nichts. Ein paar Minuten ging er mit hängendem Kopf stumm auf und ab. «Was mir ein Rätsel ist», sagte er aufblickend, «ist dies: Warum hat sie das mit dem Revolver so schnell vergessen? Und warum hat sie nicht nach dem Geld in ihrer Handtasche geschaut, als du sie angelogen hast? Ich glaube, sie wußte ganz genau, daß der Revolver fort war und das Geld auch, aber sie hatte wohl Angst vor uns. Und jetzt kriege ich es selbst wieder mit der Angst zu tun. Ich glaube, wir gehen heute nacht lieber in ein Hotel. Und morgen verschwindest du für ein paar Tage... irgendwohin.»
    Ohne noch ein Wort zu verlieren, machten wir uns eiligen Schrittes auf den Weg nach Montmartre, von panischem Schrecken ergriffen ...
    Dieser kleine Vorfall beschleunigte unsere Flucht nach Luxemburg. Aber ich bin meiner Geschichte um Monate vorausgeeilt und will jetzt wieder von unserer m é nage  à  trois erzählen.
    Colette, die obdachlose Waise, verwandelte sich bald in eine Kombination von Aschenbrödel, Mätresse und Köchin. Wir mußten ihr alles beibringen, einschließlich der Kunst, sich die Zähne zu putzen. Sie war ein rechter Tolpatsch, ließ alles fallen, stolperte, verlief sich und so weiter. Dann und wann verschwand sie für ein paar Tage. Was sie dann trieb, war nicht aus ihr herauszukriegen. Je mehr wir fragten, desto verstockter und sturer wurde sie. Manchmal ging sie am Morgen los und kam erst um Mitternacht zurück mit einer streunenden Katze oder einem Hündchen, die sie auf der Straße aufgelesen hatte. Einmal verfolgten wir sie einen ganzen Nachmittag lang, nur um zu sehen, wie sie die Zeit verbrachte. Es war, als folge man einer Schlafwandlerin. Sie ging ziellos, teilnahmslos von einer Straße zur anderen, blieb vor Schaufenstern stehen, setzte sich auf eine Bank, fütterte die Vögel, kaufte sich einen Lolly, stand minutenlang wie in Trance und schritt dann wieder ziellos, teilnahmslos weiter. Wir folgten ihr fünf Stunden lang, und alles, was wir entdeckten, war, daß wir uns ein Kind aufgeladen hatten.
    Carl war gerührt über ihre Arglosigkeit. Allerdings machte ihm die schwere sexuelle Kost zu schaffen und auch die Tatsache, daß sie seine ganze freie Zeit in Anspruch nahm. Er hatte das Schreiben völlig aufgegeben, erstens, weil die Schreibmaschine verpfändet war, und zweitens, weil er keine Minute mehr für sich hatte. Colette, das arme Ding, wußte absolut nichts mit sich anzufangen. Sie konnte den ganzen Nachmittag im Bett liegen, sich in Gedanken um den Verstand ficken und war zu weiterem bereit, wenn Carl von der Arbeit kam. Er kam gewöhnlich gegen drei Uhr morgens nach Hause. Häufig stand er erst um sieben Uhr abends auf, gerade rechtzeitig, um zu essen und zur Arbeit zu eilen. Nachdem sie ihn wieder einmal völlig fertiggemacht hatte, bat er mich, ihr einen zu verpassen. «Ich bin ausgefickt», sagte er. «Der kleine Schwachkopf — ihr ganzer Verstand sitzt in der Möse.»

     
    Aber Colette hatte nichts Anziehendes für mich. Ich war in Nys verliebt,

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