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Stille Tage in Clichy

Titel: Stille Tage in Clichy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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Puppe.
    Sie war nicht dumm, sie war blöde. Blöde wie ein Tier. Nys dagegen war keineswegs unintelligent. Träge, ja. Träge wie die Sünde. Alles, worüber Nys sprach, war interessant, selbst wenn sie über nichts sprach. Eine Gabe, die ich weit höher schätze als die Fähigkeit, gescheit daherzureden. Im Grunde gebe ich einem solchen Gespräch entschieden den Vorzug. Es ist ein Beitrag zum Leben, während die andere Art, das intellektuelle Geschwätz, einem die Kraft abzapft, alles steril, nichtig und sinnlos macht. Aber Colette hatte, wie gesagt, nur den dumpfen Verstand eines Kälbchens. Faßte man sie an, war ihr Fleisch so kühl, so leblos wie Pudding. Man konnte ihr das Hinterteil tätscheln, während sie einem Kaffee einschenkte, aber es war, als liebkose man eine Türklinke. Ihre Bescheidenheit war die eines Tiers, nicht die eines Menschen. Sie hielt die Hand über ihre Möse, wie um etwas Häßliches, nicht etwas Gefährliches zu verbergen. Sie verbarg sie und ließ ihre Brüste unverhüllt. Wenn sie mich im Bad beim Wasserlassen überraschte, blieb sie in der Tür stehen und unterhielt sich sachlich mit mir. Es erregte sie nicht, einen Mann urinieren zu sehen; sie wurde nur aufgeregt, wenn man sie bestieg und in sie hineinpißte.

     
    Eines Abends, als ich ziemlich spät heimkam, entdeckte ich, daß ich meinen Hausschlüssel vergessen hatte. Ich klopfte laut, aber es kam keine Antwort. Ich dachte, sie habe sich vielleicht wieder einmal auf eine ihrer unschuldigen Wanderungen begeben. Es blieb mir nichts anderes übrig, als langsam nach Montmartre zu gehen und Carl auf dem Heimweg von der Arbeit abzufangen. Ungefähr auf halbem Weg zur place Clichy lief ich ihm in die Arme. Ich erzählte ihm, daß Colette wieder einmal ausgeflogen war. Als wir in die Wohnung kamen, war alles hell erleuchtet. Aber Colette war nicht da und hatte auch nichts von ihren Sachen mitgenommen. Es sah so aus, als sei sie eben einmal weggegangen. An diesem Morgen hatte Carl gesagt, er werde sie heiraten, sobald sie mündig sei. Ich hatte herzlich über ihre Possen gelacht, als er ihr, während sie sich aus dem Schlafzimmerfenster lehnte, vom Küchenfenster aus laut zuschrie, so daß alle Nachbarn es hören konnten: «Bonjour, Madame Oursel, comment  ç a va ce matin?»
    Jetzt war er deprimiert. Bestimmt war die Polizei dagewesen und hatte sie mitgenommen. «Bald werden sie mich abholen», sagte er. «Das ist das Ende.»
    Wir beschlossen auszugehen und uns die Nacht um die Ohren zu schlagen. Es war kurz nach drei Uhr morgens. Die place Clichy war wie ausgestorben, einige bistros ausgenommen, die die ganze Nacht über geöffnet hatten. Die Hure mit dem Holzbein war noch auf ihrem Posten gegenüber dem Gaumont-Palace. Sie hatte ihren eigenen, treuen, kleinen Kundenkreis, der ihr zu tun gab. Wir nahmen in der Nähe der place Pigalle einen Bissen zu uns, umgeben von allerlei Nachtschwärmern. Wir warfen einen Blick in die kleine Bar, in der unsere Freundin, die Garderobiere, beschäftigt war, aber die Bude wurde gerade geschlossen. Im Zickzack stiegen wir den Hügel zum Sacre-Cceur hinauf. Am Fuß der Kathedrale verschnauften wir ein wenig und blickten hinunter auf das flammende Lichtermeer. Bei Nacht hat Paris etwas Majestätisches. Von oben betrachtet wirkt die Beleuchtung gedämpfter und nimmt den Straßen etwas von ihrer Grausamkeit und ihrem Schmutz. Bei Nacht, von Montmartre aus betrachtet, ist Paris wirklich zauberhaft - wie die Splitter eines riesigen Diamanten liegt es in der Tiefe einer Schale.
    In der Morgendämmerung ist Montmartre von unbeschreiblichem Reiz. Ein rosa Hauch liegt über den mattweißen Mauern. Die riesigen, in leuchtendem Rot und Blau an die fahlen Mauern gemalten Reklamen heben sich mit geradezu wollüstiger Frische davon ab. Als wir auf die andere Seite des Hügels kamen, begegneten wir einer Gruppe junger Nonnen, die so rein und keusch, so völlig ausgeruht, so ruhig und würdevoll aussahen, daß wir uns beschämt fühlten. Ein Stück weiter stolperten wir in eine Ziegenherde, die sich in wildem Durcheinander ihren Weg den steilen Hang hinunter suchte. Gemächlich folgte ihnen ein ausgesprochener Kretin, der ab und zu ein paar seltsame Töne blies. Die Atmosphäre strömte vollkommene Ruhe aus, vollkommenen Frieden. Es hätte ein Morgen im 14. Jahrhundert sein können.
    Wir schliefen an diesem Tag fast bis zum Abend. Noch immer kein Zeichen von Colette, noch kein Besuch von der Polizei. Am nächsten Tag

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