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Stille Tage in Clichy

Titel: Stille Tage in Clichy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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sie zusammen in Budapest wohnten, lauter törichte, lächerliche Zwischenfälle, die nur einem solchen Dummkopf, wie er es in Carls Augen nun einmal war, zustoßen konnten.
    Carl fühlte sich nach dem Abendbrot so wohl, daß er beschloß, ein Nickerchen zu machen. Als ich sah, daß er fest schlief, empfahl ich mich bei Eliane und machte mich aus dem Staub. Ich hatte nichts Besonderes vor. Ich bummelte zum nahen Etoile hinüber und schlenderte dann die Champs-Élysées hinunter, Richtung Tuilerien, um irgendwo einen Schwarzen zu trinken. Ich war gut gelaunt und zufrieden mit mir und der Welt. Das Flimmern und der frou-frou der Champs-Élysées bildeten einen eigenartigen Gegensatz zu der Atmosphäre dort in dem Hinterhof mit dem abgestellten Kinderwagen. Ich hatte zur Abwechslung gut gegessen und getrunken und war von Kopf bis Fuß gut in Schale. Ich erinnere mich, daß ich mir am frühen Nachmittag sogar einen Schuhputzer geleistet hatte.
    Während ich so den breiten Boulevard entlangschlenderte, fiel mir plötzlich mein erster Besuch auf den Champs-Élysées vor fünf oder sechs Jahren wieder ein. Ich war im Kino gewesen und hatte gut gelaunt den Weg zu den Champs-Élysées eingeschlagen, um in Ruhe vor dem Schlafengehen noch einen zu trinken. In einer kleinen, abgelegenen Bar hatte ich ganz allein ein paar Drinks genommen und dabei an einen alten Freund von mir in Brooklyn gedacht und daran, wie wundervoll es doch gewesen wäre, wenn er jetzt neben mir gesessen hätte. In Gedanken führte ich auch ein richtiges Gespräch mit ihm. Ja, ich unterhielt mich gewissermaßen noch mit ihm, als ich in die Champs-Élysées einbog. Etwas angeheitert und in äußerst gehobener Stimmung war ich ein bißchen verblüfft, so viele Bäume vor mir zu sehen. Verwirrt schaute ich mich um und ging stracks auf die erleuchteten Cafés zu. Vor dem Marignan nahm mich eine attraktive, forsche, redegewandte, herrische Hure beim Arm und ließ sich nicht, abweisen. Ich konnte damals nur zehn Worte Französisch. Das und die blendenden Lichter, die vielen Bäume, die köstliche Frühlingsluft und meine innere Glut machten mich völlig hilflos. Ich wußte, ich war dran. Ich wußte, ich war geliefert. Ich machte den lahmen Versuch, anzuhalten und sie abzuschütteln. Ich weiß noch, daß wir direkt vor der terrasse des Marignan standen, auf der die Leute dicht gedrängt saßen. Ich erinnere mich, wie sie sich zwischen mich und die Leute stellte. Sie schwatzte auf mich ein, ohne daß ich das Geringste verstand, knöpfte dabei meinen Mantel auf und griff sich ihn. Die ganze Zeit über machte sie mit den Lippen die eindeutigsten Bewegungen. Mein schwacher Versuch, ihr Widerstand zu leisten, brach in sich zusammen. Im Nu landeten wir in einem Hotelzimmer, und noch ehe ich wußte, wie mir geschah, lutschte sie mir nach allen Regeln der Kunst einen ab, nicht ohne mir vorher bis auf ein wenig Kleingeld die Taschen geleert zu haben.
    Ich dachte an dieses Erlebnis und an meine lächerlichen Gänge zum amerikanischen Krankenhaus in Neuilly, die ich an den darauffolgenden Tagen unternommen hatte, um eine eingebildete Syphilis auszukurieren, da bemerkte ich plötzlich vor mir ein Mädchen, das sich auffällig nach mir umsah. Sie stand da und wartete auf mich, als sei sie vollkommen sicher, daß ich sie beim Arm nehmen und mit ihr die Avenue hinunterschlendern würde. Was ich auch tat. Ich glaube, ich hielt dabei nicht einmal den Schritt an. Es war die natürlichste Sache von der Welt, auf das übliche «Hallo, wohin des Wegs?» zu antworten: «Nirgendwohin, nehmen wir einen Drink zusammen.»
    Meine schnelle Reaktion, meine Sicherheit, meine Nonchalance und die Tatsache, daß ich gut in Schale war, möchten bei ihr den Eindruck hervorgerufen haben, ich sei ein amerikanischer Millionär. Als wir auf das hell erleuchtete Café zuschritten, stellte ich fest, daß es das Marignan war. Die Sonnenschirme über den Tischen waren noch aufgespannt, obwohl es längst dunkel war. Das Mädchen trug ein dünnes Fähnchen und um den Hals den typischen Hurenschmuck. In diesem Fall eine ziemlich räudige, mottenzerfressene Pelzkrawatte. Aber es waren ihre Augen, die meine Aufmerksamkeit auf sich zogen, sie waren nußbraun und von großer Schönheit. Sie erinnerten mich an jemanden - jemanden, in den ich einmal verliebt gewesen war. An wen, darauf konnte ich mich im Augenblick nicht besinnen.

     
    Aus irgendeinem Grund wollte Mara, wie sie sich nannte, partout Englisch

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