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Stille Tage in Clichy

Titel: Stille Tage in Clichy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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kommen solle. Er beschloß, gegen vier Uhr nachmittags hinzugehen und mit mir zusammen kurz nach dem Abendessen wieder aufzubrechen. Ich sollte mir einen Grund ausdenken, wie er sich zurückziehen konnte, ohne daß es eine Szene gab.
    Als wir bei ihr ankamen, stellte ich fest, daß es drei Kinder gab und nicht nur zwei - er hatte vergessen, mir zu sagen, daß da auch noch ein Baby war. Reine Vergeßlichkeit, wie er mir versicherte. Ich muß sagen, es war nicht gerade die Atmosphäre eines Liebesnests. Der Kinderwagen stand unten vor der Treppe im schmutzigen Hof, und das Baby schrie aus vollem Hals. Drinnen war die Kinderwäsche zum Trocknen aufgehängt. Die Fenster standen weit offen, und überall gab es Fliegen. Das älteste Kind nannte ihn Papi, was ihn über alle Maßen ärgerte. Mit verdrießlicher Stimme bat er Eliane, sie solle die Kinder aus dem Weg schaffen. Das führte fast zu einem Tränenausbruch. Er warf mir einen hilflosen Blick zu, der besagte: Es geht schon wieder los... Wie soll ich bloß diese Plage überstehen? Und dann tat er in seiner Verzweiflung so, als sei er quietschvergnügt, verlangte Getränke, schaukelte die Kinder auf seinen Knien, sagte ihnen Gedichte vor, patschte Eliane rasch und desinteressiert auf das Hinterteil, so als ob es ein Schinken wäre, den er eigens für diesen Tag bestellt hatte. Er ging sogar noch ein wenig weiter in seiner simulierten Fröhlichkeit. Das Glas in der Hand, winkte er Eliane zu sich, gab ihr zuerst einen Kuß auf seinen Lieblingsleberfleck, und indem er mich aufforderte, näher heranzukommen, schob er seine freie Hand in ihre Bluse und fischte eine ihrer Brüste heraus, die er mich kühl zu begutachten bat.
    Ich war schon früher Zeuge solcher Vorstellungen gewesen - bei anderen Frauen, in die er verliebt gewesen war. Seine Gefühle liefen für gewöhnlich im gleichen Zyklus ab: Leidenschaft, Kühle, Gleichgültigkeit, Überdruß, Spott, Verachtung, Ekel. Eliane tat mir leid. Die Kinder, die Armut, Plackerei und Demütigung — die Situation war wirklich nicht komisch. Als er sah, daß der Scherz nicht gezündet hatte, schämte Carl sich plötzlich. Er stellte sein Glas hin, legte mit dem Blick eines geprügelten Hundes die Arme um sie und küßte sie auf die Stirn. Das sollte ihr zeigen, daß sie trotz ihres appetitlichen Hintern und der außerordentlich verführerischen linken Brust ein Engel sei. Dann ging ein törichtes Grinsen über sein Gesicht, er setzte sich auf den Diwan und murmelte: «Tja, ja», als wolle er sagen: So stehen nun mal die Dinge, es ist traurig, aber was kann man machen?

     
    Um die Spannung zu mildern, erbot ich mich, die Kinder zu einem Spaziergang auszuführen -das im Kinderwagen eingeschlossen. Sofort geriet Carl in Bestürzung. Er wollte mich nicht losziehen lassen. Aus den Gesten und Grimassen, die er hinter Elianes Rücken machte, schloß ich, daß ihm der Gedanke, ausgerechnet jetzt seinen amourösen Pflichten nachkommen zu müssen, nicht behagte. Laut sagte er, daß er die Kinder an die Luft führen wolle. Hinter ihrem Rücken gab er mir in der Taubstummensprache zu verstehen, ich solle es doch einmal mit ihr probieren. Selbst wenn ich es gewollt hätte - ich hätte es nicht gekonnt. Ich brachte es nicht übers Herz. Außerdem war ich eher geneigt, ihn auf die Folter zu spannen, weil er sie so gefühllos behandelte. Inzwischen begannen die Kinder, die den Sinn der Unterhaltung begriffen hatten und Zeugen der Taubstummengesten hinter dem Rücken ihrer Mutter geworden waren, sich so aufzuführen, als sei der Teufel in sie gefahren. Sie bettelten und drängelten und brüllten und stampften schließlich in unbeherrschter Wut mit den Füßen auf. Das Kind im Wagen begann wieder zu quäken, der Papagei machte Radau, der Hund jaulte. Als sie sahen, daß sie ihren Willen nicht kriegten, fingen die Bälger an, Carl nachzumachen. Sie hatten ihn voller Amüsement und Verwunderung beobachtet. Ihre Gesten waren durch und durch obszön, und die arme Eliane konnte sich nicht erklären, was in ihre Kinder gefahren war.
    Carl war inzwischen völlig hysterisch geworden. Zu Elianes Erstaunen wiederholte er plötzlich seine dummen Possen ganz offen, doch diesmal so, als imitiere er dabei die Kinder. In diesem Augenblick verlor ich die Beherrschung. Ich brüllte vor Lachen, und die Kinder folgten meinem Beispiel. Dann schob Carl Eliane, um ihre Proteste zum Schweigen zu bringen, hinüber zum Diwan, wobei er ihr die furchtbarsten Grimassen

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