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Stille Tage in Clichy

Titel: Stille Tage in Clichy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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Aber diese hier schüttelte den Kopf. Im Marignan zu essen käme gar nicht in Frage - das sei viel zu teuer. Ich sagte ihr, sie solle ruhig vergessen, daß ich kein Millionär sei, aber sie weigerte sich standhaft und erklärte, daß sie jedem beliebigen kleinen Restaurant, ganz gleich wo, den Vorzug gebe, ganz in der Nähe seien eine Menge, sagte sie. Ich wies darauf hin, daß die meisten Restaurants vermutlich schon geschlossen hätten, aber sie bestand darauf, daß wir es dennoch versuchen sollten. Und dann, als habe sie ihren Hunger ganz vergessen, rückte sie näher, drückte mir zärtlich die Hand und versicherte mir, was für ein großartiger Kerl ich sei. Und wieder erzählte sie mir von ihrem Leben in Costa Rica und anderen Plätzen am Karibischen Meer, wo ich mir Mädchen wie sie nicht recht vor stellen konnte. Schließlich lief alles darauf hinaus, daß sie nicht zur Hure geschaffen sei und nie eine werden würde. Ich solle ihr nur glauben, sie habe es restlos satt.

     
    «Du bist seit langem der erste Mann», fuhr sie fort, «der mich wie ein menschliches Wesen behandelt hat. Du kannst dir nicht vorstellen, was es für mich bedeutet, einfach mit dir zusammenzusitzen und mit dir zu sprechen.» In diesem Augenblick quälte sie offenbar der Hunger, und fröstelnd versuchte sie, die verrückte, räudige Pelzkrawatte enger um ihren Hals zu schlingen. Eine Gänsehaut überlief ihre Arme, und irgend etwas stimmte nicht an ihrem Lächeln, es war irgendwie zu tapfer und zu gelassen. Ich wollte, daß sie hier keinen Augenblick länger als nötig saß, aber trotz meiner Bereitschaft, aufzubrechen, plapperte sie weiter wie unter Zwang — in einem hysterischen Redefluß, der zwar nichts mit Hunger zu tun hatte, mich aber um so mehr daran erinnerte, daß sie dringend etwas essen mußte und daß es bald zu spät dafür sein würde.
    «Der Mann, der mich einmal bekommt, bekommt pures Gold», rief sie plötzlich aus. Sie hatte ihre Hände mit den Innenflächen nach oben vor mich auf den Tisch gelegt und bat mich, sie mir zu betrachten.
    «Und so was tut einem das Leben an!» sagte sie leise.
    «Aber du bist doch wunderschön», sagte ich herzlich und aufrichtig. «Deine Hände ändern daran nichts!»
    Sie beharrte darauf, daß sie nicht schön sei, und fügte hinzu: «Aber ich war es einmal. Jetzt bin ich müde, verbraucht. Ich will von alldem fort. Paris! Es sieht so schön aus, nicht wahr? Aber es stinkt, sage ich dir. Ich habe immer für meinen Lebensunterhalt gearbeitet... Da - sieh dir nur noch mal meine Hände an! Aber hier - hier läßt man einen nicht arbeiten. Hier saugen sie einem nur das Blut aus. Je suis française, moi, mais je n'aime pas mes compatriotes; ils sont durs, méchants, sans pitié pour nous.»
    Ich unterbrach sie sanft, um sie ans Essen zu erinnern. Sollten wir nicht besser aufbrechen? Abwesend stimmte sie zu, noch schwelte in ihr der Zorn gegen ihre gefühllosen Landsleute. Aber sie rührte sich nicht von der Stelle. Statt dessen warf sie einen suchenden Blick über die terrasse . Was mochte wohl in ihr vorgehen? Plötzlich stand sie auf, beugte sich über mich und fragte ängstlich, ob es mir etwas ausmache, ein paar Minuten zu warten. Sie habe, so erklärte sie hastig, eine Verabredung mit einem alten Knacker in einem Café etwas weiter die Straße hinauf. Sie glaube zwar nicht, daß er noch da sein werde, aber trotzdem lohne es sich, nachzusehen. Sei er noch da, so springe dabei etwas für sie heraus. Sie hatte anscheinend vor, es rasch hinter sich zu bringen und dann so schnell wie möglich wieder zu mir zu stoßen. Ich sagte ihr, sie solle unbesorgt sein. «Laß dir nur Zeit und hol aus dem alten Geier heraus, was du kannst. Ich habe nichts weiter vor», fügte ich hinzu. «Ich bleibe hier und warte. Und dann gehen wir zusammen essen, vergiß das nicht.»
    Ich sah sie die Avenue hinaufsegeln und in dem Café verschwinden, zweifelte allerdings daran, daß sie wiederkommen würde. Reicher Knacker! Es mochte wohl eher ihr maquereau sein, den sie beschwichtigen mußte. Ich hörte förmlich, wie er ihr erklärte, sie sei eine dumme Pute, sich von einem idiotischen Amerikaner zum Essen einladen zu lassen. Er würde ihr ein Sandwich und ein Bier spendieren und sie wieder auf den Strich schicken. Und wenn sie sich weigerte, würde er ihr eine kleben.
    Zu meiner Überraschung war sie in weniger als zehn Minuten zurück. Sie schien enttäuscht und auch wieder nicht enttäuscht zu sein. «Männer

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