Stille Tage in Clichy
machte eine flüchtige Anspielung auf Mara von der lle St. Louis. «Die da ist viel besser», setzte er hinzu. «Ich werde das für dich arrangieren...»
Oft, wenn er so etwas sagte, war überhaupt nichts dahinter. Er sagte es nur, weil ihm gerade der Gedanke, mich irgendeiner sagenhaften Schönheit vorzustellen, durch den Kopf gegangen war. Auch spielte dabei eine Rolle, daß er das, was er ‹meinen Typ› nannte, nie gemocht hatte. Wenn er mir eins versetzen wollte, deutete er an, daß es von dieser Sorte in Mitteleuropa Tausende gebe und daß nur ein Amerikaner ein solches Wesen attraktiv finden könne. Wollte er ganz gehässig sein, meinte er sarkastisch: «Die ist aber bestimmt über fünfunddreißig, da schwör ich drauf.» Manchmal, wie im gegenwärtigen Augenblick, tat ich so, als glaubte ich ihm, und setzte ihm mit Fragen zu, die er dann obenhin und nur sehr vage beantwortete. Hin und wieder jedoch, besonders wenn ich ihn aufzog, schmückte er die Geschichte mit so überzeugenden Einzelheiten aus, daß er am Schluß an seine eigenen Schwindeleien glaubte. In solchen Augenblicken nahm er einen wahrhaft dämonischen Ausdruck an und erfand mit der Geschwindigkeit eines Waldbrandes die ungewöhnlichsten Gespräche und Begebenheiten. Um im Fluß zu bleiben, griff er häufig zur Flasche, kippte ein volles Glas hinunter, als wäre es pures Wasser, aber mit jedem Zurückwerfen des Kopfes lief er immer roter an, die Adern an seinen Schläfen traten in Knoten hervor, seine Stimme wurde lauter, seine Gesten unbeherrschter und sein Blick durchdringender, als habe er eine Halluzination. Wenn er dann unvermittelt innehielt, blickte er wild um sich, zog mit dramatischer Geste seine Uhr hervor und sagte dann völlig sachlich: «In zehn Minuten steht sie an der und der Straßenecke. Sie hat ein getupftes Musselinkleid an und eine Handtasche aus Krokodilleder unter dem Arm. Wenn du sie kennenlernen willst, geh hin und überzeuge dich selbst.» Und damit schaltete er das Gespräch lässig auf ein belangloses Thema um — da er ja den Wahrheitsbeweis angeboten hatte . Im allgemeinen rührte sich natürlich niemand von der Stelle, um die Richtigkeit seiner Behauptungen zu überprüfen. «Du hast ja bloß Angst», sagte er dann. «Du weißt genau, daß sie dort steht...» Und ganz beiläufig, in einem sachlichen Ton, als übermittle er eine Botschaft aus einer anderen Welt, fügte er noch ein weiteres beweiskräftiges Detail hinzu.
Bei Behauptungen, die sich auf der Stelle überprüfen ließen, ohne daß man deswegen die Mahlzeit oder die Unterhaltung unterbrechen mußte, war er in den Einzelheiten oft so genau, daß seinen Zuhörern, wenn er in vollem Zuge war, der kalte Schweiß ausbrach. Was als Clownerie und Jux begann, verkehrte sich oft in etwas Unheimliches, Gespenstisches. Bei Neumond - und diese Anfälle trafen meist mit bestimmten Mondphasen zusammen, wie ich häufig beobachten konnte - endete der Abend in einer schauerlichen Groteske. Wenn sein Blick zufällig auf den Mond fiel, war es völlig um ihn geschehen. «Da ist er!» schrie er, als hätte er ein Gespenst gesehen. «Schlimm, schlimm», murmelte er dann immer wieder vor sich hin, rieb sich wie verrückt die Hände, lief mit gesenktem Kopf im Zimmer auf und ab, und die Zunge hing ihm dabei aus dem halboffenen Mund wie ein roter Lappen heraus.
Zum Glück stand diesmal der Mond nicht am Himmel, und wenn doch, dann war sein verwirrender Schein noch nicht in Elianes kleine Wohnung gedrungen. Das Schlimme war, daß Carls Euphorie ihn zu einer langen Geschichte über Elianes närrischen Mann ausholen ließ. Es war eine völlig lächerliche und, wie ich später herausfand, durchaus wahre Geschichte. Es ging um ein Dackelpaar, auf das Elianes Mann es abgesehen hatte. Er hatte die Hunde herrenlos in der Gegend herumlaufen sehen, und nicht genug damit, daß er schon mit Erfolg Falschgeld unter die Leute brachte, wollte er nun auch noch Hunde stehlen, um Finderlohn zu schinden. Als es eines Morgens klingelte und er die Tür öffnete, sah er sich zu seiner nicht geringen Überraschung einem Kriminalbeamten gegenüber. Er hatte die Hunde gerade gefüttert, und sie waren ihm so ans Herz gewachsen, daß er an die Belohnung schon gar nicht mehr gedacht hatte. Daß man ihn seiner Tierliebe wegen verhaften wollte, empfand er als eine ausgesprochene Ungerechtigkeit des Schicksals... Die Geschichte erinnerte Carl an andere Begebenheiten, die er mit Elianes Mann erlebt hatte, als
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