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Stille Wasser sind toedlich

Stille Wasser sind toedlich

Titel: Stille Wasser sind toedlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlie Higson
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geschmückt und sah im Dunkeln aus wie eine riesige Geburtstagstorte, die ein tollpatschiger Riese fallen gelassen hatte. Charmian stellte den Wagen auf einem schlammigen Acker ab und sie und James gesellten sich zu der Schar Einheimischer, die erwartungsvoll in den Zirkus strömte. James kam es so vor, als sei die gesamte Bevölkerung hier versammelt, so viele Leute tummelten sich auf dem Platz. Jung und Alt war da, angefangen von Kleinkindern, die von ihren Müttern auf dem Arm getragen wurden, bis hin zu gebückten, alten Männern mit langen weißen Bärten, und alle plauderten fröhlich, spazierten umher und zertrampelten das Gras.
    Charmian und James kauften am Kiosk zwei Eintrittskarten und stellten sich in die Warteschlange vor dem Zelteingang. Neben ihnen ratterte ein dampfbetriebener Generator und eine Orgel spielte »Sweet Molly Malone«. Außerhalb des Zelts gab es vielfältige Attraktionen: eine Wurfbude, ein Schießstand, ein Spiegelkabinett, eine Wahrsagerin und verschiedene Verkaufsstände, die Süßigkeiten und kandierte Äpfel am Stiel feilboten. James hatte schon befürchtet, dass er vielleicht zu alt für diese Art von Vergnügen war, doch nun war er voller Vorfreude und fragte seine Tante, ob sie später noch Zeit hätten für eine Runde über den Rummelplatz.
    Farbige Glühbirnen tauchten das Innere des Zelts in ein gedämpftes Licht und es roch nach Tieren und Sägespänen. Kaum hatte James seinen Platz auf einer Holzbank eingenommen, da intonierte die kleine Musikkapelle auch schon eine schräg klingende Melodie, die James als »Marsch der Gladiatoren« wieder erkannte. Ein dicker, schwitzender Zirkusdirektor führte die Parade der Artisten an: Akrobaten, Jongleure, Clowns, Pferde, ein müder, alter Elefant und eine Schar Affen.
    James hatte schon bessere Vorstellungen gesehen, trotzdem genoss er es. Im Halbdunkeln inmitten von lachenden und applaudierenden Zuschauern zu sitzen und die bunten Lichter und die Musik auf sich wirken zu lassen, das alles schuf eine magische, fremdartige Atmosphäre.
    Der erste Höhepunkt war ein Balanceakt. Zwei robuste weiße Ponys trabten im Kreis, während drei Mädchen in silbernen Glitzerkostümen auf dem Rücken der Pferde balancierten, von einem Tier zum anderen sprangen und sogar Purzelbäume schlugen.
    Plötzlich änderte sich das Licht: Ein Schweinwerfer wurde direkt ins Publikum gerichtet. Er beleuchtete ein einzelnes Gesicht in der Menge. Es war das Gesicht eines Mädchens mit langen blonden Haaren, die zu seinem Pferdeschwanz zusammengebunden waren. Die Pailletten der Artistenkostüme spiegelten sich in dem Gesicht wider und warfen tanzenden Lichtpunkte auf die blasse Haut. Die Augen des Mädchens funkelten in dem lebendigsten Smaragdgrün, das James je gesehen hatte, weshalb er zuerst auch dachte, es sei nur ein Beleuchtungseffekt. Das Mädchen saß in der vordersten Reihe, ihm fast direkt gegenüber, und schaute wie hypnotisiert den Pferden zu. James war fasziniert, mit welch hingebungsvoller Intensität sie bei der Sache war.
    Nachdem die Pferde die Manege verlassen hatten, änderte sich das Licht erneut und das Mädchen verschwand wieder im Dunkeln. Stattdessen wurde nun ein anderer Bereich des Zuschauerraums angestrahlt. In der Mitte der hell erleuchteten Sitzreihe saß ein großer Mann mit einem stattlichen Schnauzbart. Er trug eine flache Schirmmütze, eine nagelneue Tweedjacke und eine Hose mit Tartan-Muster. Es war unübersehbar, dass er sich als Schotte kleiden wollte. Unter den einfachen, einheimischen Bauersleuten in ihren schlichten, gedeckten Farben wirkte er vollkommen fehl am Platz und James musste unwillkürlich schmunzeln. Der Mann hatte sich so bemüht, schottisch auszusehen, dass er nicht im Geringsten wie ein Schotte war.
    Dann nahmen die Trapezartisten James’ ganze Aufmerksamkeit in Anspruch. Hoch oben im Zirkuszelt flogen sie durch die Luft und hielten sich erst in allerletzter Sekunde an den Holmen fest. James hätte nicht sagen können, was ihm am besten gefiel – die Trapezkünstler oder der »stärkste Mann der Welt«. Er nannte sich der bärenstarke Donovan und hob mit den Zähnen Gewichte hoch. Mit einem triumphierenden Grinsen stemmte er zum Abschluss vier hübsche junge Mädchen aus dem Publikum in die Luft, die vor Vergnügen laut quietschten.
    Als die Vorführung zu Ende war, traten Charmian und James in die kalte Nachtluft hinaus. James entdeckte Red Kelly in Begleitung einer mageren, erschöpft aussehenden Frau,

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