Stiller Tod: Thriller (German Edition)
Betäubungsmittel, das er früher bei seinen Abtreibungen den Frauen gespritzt hat. Er zieht die Flüssigkeit in die Kanüle, die Augen wieder auf den Fernseher gerichtet, beobachtet einen roten Ball, der vom Spielfeld ins Publikum segelt, während der Kommentator brüllt, als würde ihm einer abgehen.
Dann lässt er Vernon den Arm ausstrecken und eine Faust machen, und eine hübsche Vene hebt sich blau und verästelt auf seinem Unterarm ab. Docs Hand ist plötzlich ruhig, als wäre er wie durch ein Wunder geheilt. Er schiebt die Nadel in die Vene, und Vernon fühlt dieses wunderbare Nichts und taucht weg, in eine Tiefe, in der ihn nicht mal der Geist seines Vaters finden kann.
Sunny sieht Exley vom Monitor aus an. Das Foto hat er erst letzte Woche gemacht, ein Vollporträt, und er muss daran denken, dass sie kaum stillhalten wollte.
Er modelliert das Gesicht seiner Tochter mit einer 3D-Software, hat ein kompliziertes Raster konstruiert, ein Gitter, das den Konturen ihres Skeletts entspricht. Exley hätte als Computerkünstler Karriere machen können – das Talent dazu hat er –, aber seine Motion-Capture-Erfindung, die er als junger Animator machte, als er zu arm war, um sich eines der sündhaft teuren Systeme zu leisten, die genau die Leute verkauften, die dann später seine genervten Konkurrenten wurden, hat ihn auf eine andere Bahn gelenkt.
Das 3D-Modellieren hat er jedoch nie verlernt, das Erschaffen von Leben aus einem digitalen Drahtgittermodell, das Finden von Knotenpunkten mit Cursorpfeilen, das Verziehen und Verbiegen des Gitters durch haarfeine Bewegungen von Handgelenk und Fingern auf seiner Maus (ein Werkzeug, das lediglich die Verlängerung seiner Hand ist), bis es eine menschliche Form annimmt und scheinbar die zweidimensionale Ebene des Monitors transzendiert. Diese Animationssoftware heißt nicht von ungefähr Maya , das Sanskritwort für Illusion .
Oder Wahn.
Wenn er rendert, diesem Gesicht Haut und Textur verleiht, wird es zu einer fotorealistischen Darstellung seiner Tochter werden. Er wird den Kopf auf ein Modell ihres Körpers setzen und ihn zum Leben erwecken, indem er die Figur mit den gespeicherten Motion-Capture-Daten verbindet.
Fast so, als würde er sie zurückholen.
Exley wehrt sich gegen diesen Gedanken. Blendet die Stimme von Gladys vorhin am Strand aus, die ihm sagt, dass seine Tochter noch da draußen ist, erreichbar, in einer Art Schwebezustand zwischen Diesseits und Jenseits.
Was er hier tut, ist Ausdruck der Liebe eines Vaters zu seinem toten Kind. Mehr nicht. Wäre er Maler, würde er sie malen. Wäre er Musiker, würde er etwas in der Art aufnehmen, wie Eric Clapton das gemacht hatte, nachdem sein vierjähriger Sohn aus einem Hochhaus in New York zu Tode gestürzt war. Er benutzt sein Talent, um fürseine tote Tochter ein Denkmal zu erschaffen, und am Tag ihrer Beerdigung wird er es vorführen.
Als eine imaginäre Caroline in seinem Kopf auftaucht und ihm so oberlehrerhaft, wie nur sie es sein kann, erklärt, seine digitale Beschwörung von Sunny sei doch bloß ein Versuch, seine Schuldgefühle zu sublimieren, eine Art Selbstkasteiung unter dem Deckmantel obsessiver Liebe, rollt er seinen Sessel vom Computer weg, schließt die Augen und schiebt die Finger unter die Brille, massiert sich die Nebenhöhlen. Er braucht was zu essen und Schlaf und Trost.
Mit ein paar Mausklicks speichert er die Informationen im Rechner. Dann verlässt er das Studio, tritt aus dem klimatisierten Raum hinaus in die Hitze. Irgendwie ist es Nachmittag geworden, und der Wind rauscht heran, macht das Meer kabbelig, lässt weiße Wellenköpfe auf den Strand schäumen.
Exley geht in die Küche, die jetzt blitzsauber ist, nachdem Gladys wahre Wunder bewirkt hat. Er macht den Kühlschrank auf und betrachtet die Reste. Seit seiner Zeit im Aschram ist er Vegetarier, also lässt er den Aufschnitt und den Kaviar links liegen und zieht die Folie von einem großen Stück Brie, doch als ihm der reife Käsegeruch in die Nase steigt, wird ihm schlagartig übel. Er geht zur Spüle und trinkt ausgiebig Wasser direkt aus dem Kran, wischt sich übers Gesicht.
Als er die Augen aufmacht, sieht er Caroline durch Wassertropfen hindurch, geräuschlos und barfuß, noch immer in Leggings und Pullover, rauchend, mit kleinen Fältchen, die ihre Lippen umspielen, wenn sie an der Zigarette zieht.
»Dieser grässliche kleine Bestatter hat auf den Anrufbeantworter gesprochen. Du sollst ihn zurückrufen.«
»Okay, mach
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