Stiller Tod: Thriller (German Edition)
Abend hier. Ich weiß genau, wie groß Ihr Schmerz ist. Da kann ich nicht zulassen, dass irgendwer alles für Sie noch schlimmer macht.«
Exley schiebt sein eigenes inneres Chaos gerade lange genug beiseite, um zu registrieren, dass Vernon Saul nach Schweiß stinkt, dassseine Kleidung zerknittert ist und aussieht, als hätte er drin geschlafen, und dass sein dunkles Haar ihm in nassen Strähnen in die Stirn hängt. Exley stellt sich unwillkürlich vor, wie dieser Mann – ein hart arbeitender Mann, ein armer Mann – wohl lebt. Stellt sich das enge und beschränkte Leben vor, das er führt. Und doch hat er Zeit für diesen Akt der Güte gefunden.
Exley legt dem Wachmann eine Hand auf den Arm, spürt die angespannten Muskeln. »Vernon, meine Güte, ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll.« Irgendein Urinstinkt reicher Weißer lässt ihn in die Tasche greifen und nach Geld tasten. »Lassen Sie mich Ihnen wenigstens das Spritgeld bezahlen.«
Vernon hebt seine breite Hand. »Kommt nicht in Frage. Das ist das Mindeste, was ich in dieser schweren Stunde für Sie tun kann.«
Exley möchte ihm nicht weiter zur Last fallen, findet aber dennoch seine Stimme wieder: »Vernon, es ist mir wirklich sehr unangenehm, aber dürfte ich Sie wohl noch um einen weiteren Gefallen bitten?«
»Wie gesagt, Nick, falls ich irgendwas für Sie oder Ihre Frau tun kann, nur raus mit der Sprache.«
»Wir möchten Sunny, unsere Tochter, sobald wie möglich bestatten. Morgen, falls das machbar ist. Und die Trauerfeier soll hier am Strand abgehalten werden.«
»Okay«, sagt Vernon.
»Das Problem ist nur, ich hab mit dem Bestatter gesprochen, und der meint, es dürfte schwierig werden, jemanden zu finden, der die Trauerfeier abhält, wenn sie nicht in der Kirche stattfindet. Er sagt, es gibt da feste Abläufe.«
»Überlassen Sie das mir, Nick.«
»Ehrlich? Es ist mir unangenehm, Sie damit zu behelligen.«
»Nick, kein Problem. Ich kümmer mich drum. Ich ruf Sie dann an, okay?«
Der große Mann streckt die Hand aus und drückt Exleys erstaunlich sanft, dann hinkt er zurück zu seinem Auto, und Exley steht da, zutiefst gerührt von dem Mitgefühl dieses Fremden.Den ganzen Tag schon ist Yvonne Saul ein Nervenbündel, seit sie das Blut auf den Sachen ihres Sohnes gesehen hat und er sich Gott weiß wo rumtreibt. Sie steht an der offenen Haustür, in dem heftigen Wind, der Hitze von Süden herantreibt, und spürt, wie ihr Schweiß zwischen den Brüsten und an den Oberschenkeln hinabrinnt. Sie muss ständig pinkeln und kann so viel Wasser trinken, wie sie will, ihr Durst lässt einfach nicht nach.
Yvonne wird einen Moment lang schwindelig, und sie legt die Hand an den Türrahmen, um sich abzustützen. Sie schließt die Haustür, und als sie durch den Flur Richtung Küche geht, fällt ihr Blick in den Spiegel an der Wand. Sie kann sich beim besten Willen nicht erinnern, jemals schlechter ausgesehen zu haben. Ihre Haut hat die Farbe von schmutzigem Spülwasser, und unter den Augen zeichnen sich dunkle Erschöpfungsringe ab.
Am Nachmittag hat sie versucht zu schlafen, aber wegen des unaufhörlichen, quälenden Geschreis des Kindes aus dem Holzschuppen in dem kleinen Nachbargarten hat sie kein Auge zugetan. Ein zahnloser, magerer kleiner Dreckskerl mit Gefängnistattoos haust da drin, zusammen mit einer Jugendlichen und ihrer kleinen Tochter. Mrs. Flanagan, Yvonnes Nachbarin auf der anderen Seite, meint, das junge Mädchen verkauft sich auf der Voortrekker Road, obwohl die Milch in seinen Brüsten noch nicht versiegt ist. Mrs. Flanagan ersetzt jede Zeitung. Sie parkt ihren dicken Busen auf der Betonmauer vor ihrem Haus, und ihrem Röntgenblick entgeht nichts.
Mrs. Flanagan sagt auch, der Exknacki vergeht sich an der Tochter, die höchstens achtzehn Monate ist. Als ihre Nachbarin das zur Sprache brachte, ließ Yvonne sie prompt stehen, weil sie daran denken musste, was unter ihrem eigenen Dach passiert ist, als Vernon noch klein war. Wie Gott allein weiß, verstreicht kaum ein Tag, an dem sie sich nicht die Schuld dafür gibt, dass ihr Sohn so geworden ist, wie er ist. Sie hätte dem perversen Schweinehund, mit dem sie verheiratet war, ein Tranchiermesser zwischen die Rippen stoßen sollen. Doch stattdessen hat sie die Schlafzimmertür zugemacht und ferngesehen oder nutzloseGebete gemurmelt und den Blick von dem Blut und den Prellungen und dem Schmerz in den Augen ihres kleinen Jungen abgewendet.
In der Küche sind die Schreie lauter,
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