Stiller Tod: Thriller (German Edition)
wühlen sich in Yvonnes Kopf, also schaltet sie das alte Transistorradio ein, das auf der Arbeitsplatte steht. Kirchenmusik dringt blechern durch das statische Rauschen, sodass sie die jämmerlichen Laute kaum noch hört. Sie öffnet die kleine Gefrierbox oben auf dem Kühlschrank, und die kühle Luft in ihrem Gesicht fühlt sich an wie ein Kuss.
Yvonne nimmt eine Packung gefrorenes Gemüse und reibt sich damit über Wangen und Stirn, dann knöpft sie den Kragen ihres Kleides weiter auf und drückt sich die Packung auf die Brust. Atmet ein paarmal tief durch, ehe sie das Gemüse wieder verstaut und den Kühlschrank öffnet, das letzte Fläschchen Insulin neben zwei braunen Eiern in der Tür stehen sieht.
Letzte Woche hat sie Vernon daran erinnert, dass sie bald Nachschub braucht, und er hat gesagt: »Verdammt, nerv mich nicht. Ich besorg dir schon neues.« Aber er hat es nicht getan, und sie hat Angst, ihn darum zu bitten.
Er gibt ihr kein Geld, hält sie hier im Haus praktisch gefangen. Geht einmal die Woche mit ihr einkaufen. Fährt sie sonntagabends zur Kirche und wieder zurück. Ansonsten hockt sie den lieben langen Tag hier im Haus und starrt den Fernseher an oder hält mit Mrs. Flanagan über den Zaun hinweg ein Schwätzchen.
Sie hat möglichst wenig Insulin verbraucht, aber ihr wird wieder schummerig vor Augen, und sie weiß, dass ihr keine andere Wahl bleibt. Sie nimmt das kühle Fläschchen mit in das fensterlose Bad, das stickig ist und nach Schimmel und Urin stinkt, ganz gleich, mit wie viel Desinfektionsmittel sie auch dagegen anzukämpfen versucht.
Yvonne stellt das Insulin auf den Rand des verfärbten Beckens, die Emaille unter den Wasserhähnen schwarz und rot gefleckt, rings um den Abfluss löchrig wie alte Haut. Vernons Zahnbürste, seine Zahnseide und Aquafresh-Zahncreme liegen neben der Seife. Er war schon immer stolz auf seine weißen Zähne.
Yvonne macht die Spritze fertig, hält sie in der rechten Hand und hebt mit der linken ihr Kleid an. Die feuchte Speckfalte an ihrem Bauch hängt ihr über den Schlüpfer. Mit einem alkoholgetränkten Wattebausch reinigt sie eine Stelle neben dem Bauchnabel, wobei der Alkohol von der Hitze bereits trocknet, noch während sie ihn verreibt. Sie sticht die Nadel ins Fleisch, drückt den Kolben bis zum Anschlag durch, um das Insulin ins Fettgewebe zu pressen, spürt den Schmerz nicht mehr nach so vielen Jahren.
Yvonne zieht die Nadel heraus und wischt mit dem Wattebausch ein paar Blutstropfen weg. Geht aus dem Bad und stellt das Insulin zurück in den Kühlschrank, weiß, dass es höchstens noch für zwei Spritzen reicht.
Sie durchquert das Wohnzimmer und sinkt aufs Sofa, das klebrige Lederimitat saugt sich an ihren dicken Beinen fest. Jetzt, da das Insulin wirkt und sie sich etwas besser fühlt, überlegt sie, was sie heute Abend zur Kirche anziehen soll. Es gibt einen alten Mann, einen sehr anständigen Witwer, Mr. Tobias, der in den letzten Wochen ein gewisses Interesse an ihr gezeigt hat. Er ist neu in der Gemeinde, ist nach dem Tod seiner Frau von Paarl hierher zu seiner Tochter gezogen. Yvonnes kleiner Traum von einem Leben ohne Vernon endet mit dem Dröhnen des Civic, der schnell angefahren kommt, und mit dem Quietschen von staubigen Scheibenbremsen, als der Wagen draußen hält und der Motor im Leerlauf eine Teetasse auf dem Fernseher scheppern lässt.
Trotz des Windes hört Yvonne das Gartentor jaulen wie ein verwundetes Tier, und ihr wird schlecht, als sie Vernons Schlüssel im Schloss knirschen hört und sich fragt, in welcher Stimmung er jetzt wohl ist.
Vernon kommt hereingestürmt. Seine Kleidung ist zerknittert und schmutzig, das volle Haar hängt ihm tief in die Stirn. »Beweg deinen Arsch, wir fahren.«
Sie starrt ihn an. »Aber die Kirche fängt erst in einer Stunde an.« Sie klopft mit einer Hand auf ihr schweißfleckiges Kleid. »So kann ich nicht gehen.«
»Dann bleib eben hier.« Schon ist er wieder raus, knallt die Tür hinter sich zu, und sie muss ihre Handtasche schnappen und hinter ihm herhasten, um ihn einzuholen. Kaum im Auto, gibt er auch schon Vollgas und manövriert sie durch das enge Labyrinth von Häusern, die Sonne versinkt wie eine Blutorange in dem dichten Staub.
Vernon eilt aus dem Haus des Pastors hinaus in den heißen Wind, der die eintreffenden Kirchgänger attackiert. Frauen drücken ihre aufgeblähten Kleider herunter, und ältere Männer halten ihre Sonntagshüte fest.
Das Haus, ein zweistöckiger Bau mit
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