Stiller Tod: Thriller (German Edition)
ich, dass sie gestorben ist.«
Verrückt, natürlich. Primitiver Hokuspokus. Aber ihm ist schwindelig vor Trauer.
»In unserer Kultur es ist sehr schlimm, wenn ein Kind stirbt«, sagt Gladys, »und das Kind muss vor den bösen Geistern beschützt werden, muss zu den Ahnen auf der anderen Seite geführt werden. Verstehen Sie?«
Er nickt. So irrwitzig es auch scheint, er versteht wirklich. Es gibt da eine durchgeknallte Ähnlichkeit zwischen dem, was diese Xhosa-Frau ihm sagt, und den Lehren des selbst ernannten Gurus in dem Aschram, aus dem er als Teenager geflohen ist, in dem seine Mutter aber immer noch lebt. Diese Lehren – Erzählungen von Seelen, die im endlosen Labyrinth eines qualvollen Lebens nach dem Tode herumirren – haben ihm einen Mordsschiss eingejagt.
»Was kann ich tun?«, fragt ein Mann, der nicht mehr ganz Nicholas Exley ist.
»Wir glauben, der Geist eines Menschen bleibt ein paar Tage an der Stelle, wo er gestorben ist, ehe er hinüberwechselt. Nur die Liebe von Mutter oder Vater, Mister Nick, hilft Sunny, auf die andere Seite zu kommen.«
Dann dreht sie sich um, stapft schwer und behäbig über den Sand und ins Haus. Später wird er sie auf Sunnys Bett sitzen sehen, auf Xhosa singend, hemmungslos weinend.
Eine Bewegung im Haus zieht Exleys Blick an. Caroline beobachtet ihn von einem der oberen Fenster, rauchend. Wendet sich schließlich ab und verschwindet.
Exley geht hinein, verteilt Wasser und Sand auf den Fliesen. Er überlegt, nach oben ins Schlafzimmer zu gehen, ist aber zu fertig, um sich jetzt Carolines Wut zu stellen, also schleicht er ins Studio und lässt sich in seinen Sessel fallen, startet die Motion-Capture-Schleife mit Sunny. Er spürt eine Bewegung in der Luft, und als er sich umdreht, tritt Caroline ins Zimmer. Sie trägt dunkle Leggings und einenalten Pullover, der ihr sackartig um den schmalen Körper hängt. Der Pullover ist ihr Schutz gegen die Welt, die Wolle vom jahrelangen Tragen fleckig und voller Zigarettenbrandlöcher.
»Was machst du?«, fragt sie.
»Nichts«, sagt er, stoppt die Schleife, streichelt mit den Fingerspitzen über die glatte, rechteckige Leertaste.
»Willst du so damit umgehen?«, fragt sie. »Dich in deiner verdammten Hobbithöhle verstecken?«
»Ich schau sie mir nur an.«
»Das ist sie nicht. Das ist nicht Sunny. Das ist bloß eine Ansammlung von Nullen und Einsen.«
Er lässt sich nicht provozieren. »Was hast du Gladys gesagt?«
»Gar nichts. Hab bloß die Tür für sie aufgedrückt. Dann hab ich euch beide und eure kleine Heulorgie unten am Strand gesehen. Wieso, was hat sie denn gesagt?«
Er zuckt die Achseln, die Augen auf den Monitor mit der erstarrten Drahtgitterfigur gerichtet. »Sie wusste, dass Sunny tot ist. Hat gesagt, sie hätte letzte Nacht von ihr geträumt. Irgendwas mit Wasser.«
»Gott, was für ein ausgemachter Voodoo-Schwachsinn.«
»Aber woher hat sie’s dann gewusst, wenn du ihr nichts gesagt hast?«
»Buschtelefon, was denkst du denn? Als sie heute Morgen hergekommen ist, war im Minibus-Taxi bestimmt von nichts anderem die Rede.«
»Ich halte sie nicht für eine Lügnerin.«
»Ach, komm schon, Nicholas, du glaubst den Blödsinn doch nicht etwa, oder?« Er bleibt stumm. »Du weißt, dass diese Primitivlinge sich einbilden, sie hätten von Geburt an eine Verbindung zu irgendeiner höheren Macht. Eine Verbindung, die uns irgendwie verloren gegangen ist. Das ist bloß eine Form von spiritueller Angeberei.«
Caroline sieht sein Gesicht und lacht. »Scheiße, wie erbärmlich«, sagt sie. »Du möchtest das glauben, was? Damit du dich weniger schuldig fühlst? Du möchtest glauben, dass Sunny sich da draußen ineinem paradiesischen Jenseits rumtreibt und nicht tot beim Bestatter liegt? Mein Gott, du tust so rational, aber in Wirklichkeit bist du doch der Sohn deiner Mutter.« Exley reagiert, wie er immer reagiert, wenn sie so wird: Er zieht sich in sein Schweigen zurück. »Tja, tut mir leid, wenn ich dir die Stimmung versaue, Darling, aber Sunny ist tot. Futsch. Hat das Zeitliche gesegnet. Muerta . Find dich damit ab, verdammt nochmal.«
Als er sie nicht ansieht und weiter den Mund hält, hört er sie einatmen – ein frustriertes Zischen – und wartet auf den Wutausbruch. Seine Schultern spannen sich an, seine Hand packt die Maus fester. Doch die Tür gleitet auf und schließt sich mit einem gedämpften Kuss, und er ist allein.
Exley drückt wieder auf die Leertaste, setzt alles in Bewegung, was von Sunny
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