Stiller und der Gartenzwerg - Main-Krimi
Schrei. Die Hand schloss sich fester um den Spaten. Er sprang auf, fast ungläubig; er hatte nicht damit gerechnet, dass er mit der Falle Erfolg haben würde. Er lief den Hauptweg entlang, hielt sich auf der Grasnarbe, um Geräusche zu vermeiden. Er erreichte den Garten und flankte über das Türchen. Mit wenigen Sätzen war er am Schacht neben der Laube. Seine Brust hob und senkte sich, das Blut pochte in den Adern seiner Schläfen, während er sich über den Schacht beugte und hineinsah.
Er war leer.
»Guten Morgen, Herr Scherer.« Stiller trat um die Ecke der Laube. Er stand in Scherers Rücken und hätte ihm nur einen leichten Stoß geben müssen, um ihn im Schacht verschwinden zu lassen. Er brachte es nicht fertig.
Scherer fuhr herum. In seinem Mienenspiel mischten sich Erstaunen, Wut – und Entschlossenheit. »Stiller!«, rief er. Er hob den Spaten an, hielt ihn vor sich wie einen Spieß, die scharfe Kante auf Stiller gerichtet.
»Sie wissen also, wer ich bin?« Stiller war ebenfalls nicht unbewaffnet. Nachdem er den Holzdeckel mit einem kräftigen Fußtritt zerbrochen und einen Schmerzensschrei imitiert hatte, war er zum Schuppen gesprungen und hatte das erstbeste Werkzeug herausgerissen, das ihm in die Hände gefallen war: eine langstielige Harke. Der Spaten wäre ihm lieber gewesen, doch der lag auf dem Rücksitz des Kangoo.
»Seit unserer ersten Begegnung im Vereinsheim weiß ich das. Ihre Visage grüßt einen doch alle paar Tage aus der Zeitung. Fast jeder hier weiß Bescheid. Für wie blöd halten Sie uns Kleingärtner eigentlich?«
Statt einer Antwort deutete Stiller mit der Harke auf den Schacht. »Sie haben doch nicht wirklich geglaubt, dass ich da reinfallen würde? Mit alten Brunnen habe ich Erfahrung.«
»Einen Versuch war’s mir wert. Es wäre besser gewesen, wenn es nach einem Unfall ausgesehen hätte. Aber es geht auch so.« Scherer stieß mit dem Spaten nach Stiller, der zwei Schritte zurückwich. Scherer folgte ihm.
»Einen Unfall – das hätte Ihnen keiner abgenommen. Die Kripo ist Ihnen längst auf der Spur. Geben Sie auf.«
»Klappe!«, schrie Scherer. Er sah sich um und dämpfte die Stimme: »Ich gebe nicht auf. Jetzt nicht mehr. Und die Kripo hat keine Ahnung, worum es hier geht.« Er reckte drohend den Spaten.
Stiller fühlte, wie sein Hemd wieder an den Schulterblättern festklebte. »Wenn ich darauf gekommen bin, wird es ein Fachmann wie Strobel erst recht tun. Ich sage Ihnen, was passiert ist: Die Bahn hat dieses Areal hier zum Verkauf angeboten – als Grünland. Sie haben es im Namen einer Eisenbahnergenossenschaft erworben, die nur noch aus Ihnen selbst besteht. Sie wollen es an einen Investor in Frankfurt verhökern, Vapore, und zwar als Bauland. Wie viel wollten Sie dabei rausschlagen?«
»Mehr, als Sie sich vorstellen können. Das hier sind fast viereinhalb Hektar, dreiundvierzigtausend Quadratmeter. Für jeden einzelnen hab ich hundertfünfzig Euro bezahlt und kriege dreihundertfünfzig dafür. Überschlagen Sie’s mal. Und glauben Sie mir: Das ist in dieser Lage auch für den Investor noch ein Bombengeschäft.«
Überraschend stürmte Scherer auf Stiller los. Der sprang zurück und schlug den Spaten mit der Harke zur Seite. Scherer stach noch einmal zu, wieder parierte Stiller den Schlag. Schwer atmend blieben sie stehen.
Stiller ließ seinen drahtigen Gegner nicht aus den Augen. »Kohl hat Sie auf den alten Bebauungsplan gebracht, stimmt’s?«
Scherer bleckte die Zähne. »Keine Ahnung, wo der das herhatte, der alte Fuchs mit seinem dämlichen Pavillon. Kein Mensch hat sich mehr an diese Geschichte erinnert, nicht einmal Graser, obwohl er vom Fach war.«
»Trotzdem wird nichts aus dem Geschäft.« Stiller versuchte, Zeit zu gewinnen. »Die Stadt hebt den Bebauungsplan sofort auf, wenn sie davon erfährt. Dann ist das ganze Gelände hier keinen Pfifferling mehr wert als vorher.«
»Sie wissen eben doch nicht alles, Sie Schlaumeier.« Während er sprach, rückte Scherer wieder gegen Stiller vor. »Aufheben kann die Stadt den Plan nur, solange noch niemand bauen will. Aber sobald das erste Baugesuch auf dem Tisch liegt, hat der Bauherr einen Rechtsanspruch. So ist das. Bebauungspläne sind wie Gesetze. Die kann man nicht einfach abschaffen, wenn sich einer darauf beruft.«
Bei den letzten Worten hob Scherer den Spaten über den Kopf, ließ ihn kreisen und wollte ihn auf Stiller niedersausen lassen. Doch Stiller war schneller. Er stieß Scherer mit der Harke
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