Stiller und der Gartenzwerg - Main-Krimi
ausgekommen sei. Nach allem, was wir sonst gehört haben, war das ganz unmöglich. Er sagt also nicht die Wahrheit.« Wieder der Therapeutinnenblick. »Was würdest du tun, wenn du der Mörder wärst? Du würdest doch auch nicht herumlaufen und es jedem auf die Nase binden, dass du mit dem Opfer Stunk hattest, oder?«
Stiller holte tief Luft.
»Egal, du wirst schon sehen. Der Mooser oder die Blum.«
»Vergiss nicht den Kohl mit dem Pavillon«, setzte Stiller bissig dazu.
»Apropos vergessen«, fuhr Frauke munter fort. »Da gibt es noch etwas.« Sie führte Stiller zum Flipchart mit der Überschrift »Wir brauchen …«. Auch hier hatte sie einen Stichpunkt ergänzt: »… Pflanzen«.
»Fällt dir dazu was ein?«, fragte sie in dem sanften Ton, den Stiller aus den Kreativsitzungen kannte.
»Ganz ehrlich, Frauke: Von Gartenarbeit habe ich nicht die geringste Ahnung.«
Sie seufzte. »Also werde ich mich darum auch noch kümmern müssen. Aber jetzt«, sie streckte ihren Spinnenarm aus und ließ den Schlüsselbund in die Hand fallen, die Stiller geistesgegenwärtig aufhielt, »bist du dran.«
»Danke für alles«, erwiderte Stiller und suchte nach dem Schlüssel mit dem Anhänger »Toiletten«. »Ich begleite dich noch bis zur Gartentür«, sagte er, als er ihn gefunden hatte. »Ich muss nämlich mal aufs Klo.«
Das Radieschenheim lag im Mittelpunkt der Kleingartenanlage. Der große Vorplatz mit den Spielgeräten in einer Ecke lag verwaist da, obwohl sich die Kolonie am späten Nachmittag zusehends belebte. Stiller steuerte auf den Eingang unter der veralteten Leuchtreklame zu und sah sofort: Den Toilettenschlüssel würde er nicht brauchen, die Tür zum Vereinsheim stand offen.
So schlicht der niedrige Bau mit dem flach geneigten Giebeldach von außen wirkte, so einfach gliederte er sich auch im Innern. Die Tür führte in einen Flur, der sich über die gesamte Breite des Heims erstreckte. Auf der rechten Seite war die Garderobe angebracht, daneben ging es in den großen Schank- und Versammlungsraum. Stiller wollte einen Blick hineinwerfen, aber die Tür war abgeschlossen. Am rechten Ende des Flurs gab es eine weitere Tür mit der Aufschrift »Küche«. Auf der linken Seite des Flurs gingen drei Türen ab. Schilder verrieten, was sich dahinter verbarg: » WC « gleich am Eingang, »Lager« in der Mitte und am Ende des Gangs gegenüber der Küchentür das »Vorstandsbüro«.
Die Bürotür war nur angelehnt. Stiller klopfte. Als keine Antwort kam, trat er ein.
Anders als der düstere Flur war der Raum überraschend hell. Es gab ein Fenster in jeder der beiden Außenwände. Das Mobiliar beschränkte sich auf das Notwendigste: zwei lange Regale an der fensterlosen Wand, vollgestopft mit Aktenordnern, ein Schreibtisch, der wohl noch aus Zeiten der Deutschen Bundesbahn stammte, in der Mitte des Büros, davor zwei klapprige Holzstühle mit dem Rücken zur Tür, offensichtlich für Besucher gedacht. Nur drei Einrichtungsgegenstände stachen aus dem altertümlichen Ambiente heraus: ein moderner Bürosessel hinter und ein Laptop auf dem Schreibtisch sowie ein Drucker auf einem musealen Schreibmaschinen-Beistelltisch unter dem Aktenregal.
Stiller studierte die Rücken der Ordner, die säuberlich beschriftet waren: Mehrere Kladden bargen die Ausgaben der Verbandszeitschrift »Die Harke«, andere die Mitteilungen des Kleingärtnerbundes oder Rundschreiben des Stadtverbands. Ein Ordner weckte sein Interesse: »Abmahnungen und Kündigungen«.
Im Flur hallten Schritte. Stiller hielt inne und lauschte. Als er die Tür zu den Toiletten zufallen hörte, zog er schnell den Ordner aus dem Regal und klappte ihn auf. Das letzte Ausschlussverfahren lag ein Vierteljahr zurück. Stiller legte den Ordner auf dem Drucker ab und zog seinen Stenoblock aus der Tasche. Der Gekündigte hieß Smirnow, Vorname Anton. Als Beruf war Pfleger angegeben. Grund für den Ausschluss waren zahlreiche Beschwerden über Ruhestörung und nicht näher erläuterte Ordnungsverstöße gewesen.
Stiller blätterte weiter. Etwa ein halbes Jahr zuvor hatte ein Gärtner eine Abmahnung bekommen, die aber nicht zur Kündigung geführt hatte. Es war der Familienvater Ekkehard Mangold, Fernsehtechniker.
Das vorausgegangene Ausschlussverfahren war ein knappes Jahr alt. Graser, Manfred, städtischer Bediensteter. Anlass war eine tote Amsel gewesen, notierte Stiller verwundert. Als er das Datum der nächsten Kündigung las, schlug er den Ordner zu und schob ihn
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