Stiller und der Gartenzwerg - Main-Krimi
quittierte Stillers fragende Miene mit dem ihm eigenen Lachen. »Japanischer Schattentee. Etwas für Grüntee-Puristen.«
Sie trennten sich, nachdem Stiller hoch und heilig versprochen hatte, die Einladung anzunehmen – und seine Frau gleich mitzubringen. Endlich allein im Garten, setzte er den Wassermann am Pumpbrunnen ab. Dann schlüpfte er in die Laube und schrieb mit einem fetten Marker »Wicken« und »Grüntee« auf ein gelbes Papprechteck sowie »Smirnow« und »Wagner« auf ein rotes. Beide hatte er auf gut Glück gegriffen, beide heftete er aufs Geratewohl an die Pinnwand. Er schloss die Laube ab und steuerte auf die Gartentür zu, als sein Blick auf die Hängematte fiel.
Wenigstens einmal wollte er ausprobieren, wie es sich darin lag. Er war den ganzen Tag auf den Beinen gewesen. In seinem Kopf schwirrten die Stimmen all der Leute, mit denen er gesprochen hatte. Er setzte sich in die Hängematte, ließ den Oberkörper zurücksinken und legte die Beine hoch. Nicht schlecht. Er stellte das Handy auf stumm, schob sich seine Tasche unter den Kopf, schloss die Augen und lauschte.
Die Vögel sangen. Rufe drangen an sein Ohr. Irgendwo heulte ein Rasenmäher auf – nach neunzehn Uhr, soso, wenn das der Strunke noch erlebt hätte. Auf der Großostheimer Straße rauschte der Abendverkehr aus der Stadt hinaus. Stiller stellte sich vor, es sei das stetige Brausen einer leichten Meeresbrandung.
Nach drei Minuten war er eingeschlafen.
10
Mit der Nacht senkt sich die Stille über die Gärten.
Wenn die Sonne im Westen hinter den Baumwipfeln des Park Schönbusch untertaucht, wenn aus dem Osten die Dunkelheit gekrochen kommt wie ein gefräßiges Raubtier und die letzten purpurnen Streifen am Himmel verschlingt, wenn sich das Grau des Abends über Bäume, Büsche und Beete legt, wenn die Schwärze die Farben aus Blüten und Blättern saugt, als tanke sie hier die Kraft, die sie braucht, um sich weiter auszubreiten, dann gehen die Menschen und nehmen ihren Lärm mit. Ihr Schwatzen und Lachen verhallt. Das Rumoren von Motoren, das Rumpeln in den Schuppen, alles verstummt. Zuletzt verklingen die Lieder am Grill und das Knirschen im Kies.
Die alte Vogelscheuche kennt das Schauspiel. Ungezählte Abende hat sie aufziehen sehen. Wenn die Menschen gegangen sind, haben die Vögel die Gärten für kurze Zeit wieder für sich allein. Sie jubilieren, als feierten sie ihre Freiheit. Schließlich versiegt auch ihr Singen.
Die Stille, die folgt, ist nicht umfassend. Nachtgetier raschelt im Gras, Grillen zirpen, Kröten quaken an einem der vielen Gartenteiche. Der Wind säuselt in den Blättern. Von St. Kilian weht der Klang der Turmuhr herüber. Waren es elf Schläge? Sie hat nicht mitgezählt.
Noch ein Geräusch ist da, eines, das nicht hierhergehört. Eine Art Sägen, rau und regelmäßig. Ein Mensch ist im Nachbargarten zurückgeblieben. Er liegt in der Hängematte und schläft. Er schnarcht.
Nebelschwaden wabern kniehoch über den Boden, kriechen zwischen die Büsche und Bäume wie Finger, die nach etwas suchen, das sie packen können. Der Mond, der sich eben von den Hügeln auf der anderen Seite des Flusses löst, lässt sie fahl schimmern, taucht die Gärten in ein schummriges, gespenstisches Licht. Doch die Vogelscheuche kennt keine Furcht. Ihr bleiches Gesicht bleibt unbewegt, als ein schauriger Schrei die Stille zerreißt.
Der Waldkauz ruft. Der Todesbote. Wenn sein Heulen dreimal ertönt, stirbt ein Mensch.
Dem ersten Ruf folgt der Tod. Schemenhaft taucht er am Ende des Weges auf. Diesmal ist er nicht allein. Zwei Gestalten schält das Mondlicht aus dem Dunkel, eine große und eine kleine. Sie tragen dunkle Anzüge und Hüte. Sie meiden den Kies, halten sich am Rand des Wegs. Der Nebel verhüllt ihre Beine, als wolle er ihre Schritte dämpfen. Sie scheinen nicht zu schreiten, sondern unwirklich zu schweben, während sie sich lautlos nähern.
Am Nachbargarten halten sie inne. Das Schnarchen lässt sie aufhorchen. Sie lauschen. Der Lange hebt den Arm und zeigt auf die Hängematte. Sie ändern die Richtung, verlassen den Weg. Leise öffnen sie die Gartentür und schleichen sich an den Schlafenden heran. Plötzlich schweigen die Grillen.
Sie flüstern, aber der Wind trägt Wortfetzen durch die Stille zur Vogelscheuche hinüber. »… der Maulwurf«, sagt der Kurze. Der Lange erwidert etwas wie »… loswerden …« und »… erschlagen wie den anderen«. Sie sehen sich um. Die Gartenzwerge sind verschwunden. Der
Weitere Kostenlose Bücher