Stiller und der Gartenzwerg - Main-Krimi
Probleme, sie waren oft genug Thema in der Zeitung.
»Manchmal genügt es, wenn die Leute jemand für anders halten, er muss es nicht einmal sein.« Froese klang nachdenklich, schien mit sich selbst zu sprechen. »Als die Zahl der Immigranten in der Kolonie wuchs, hatten viele Eingesessene Angst, die Ausländer könnten zu laut sein, würden sich nicht an Regeln halten oder die ganze Anlage in Knoblauchdunst hüllen. Natürlich fühlten sie sich sofort bestätigt, wenn sich in den Immigrantengärten mal mehr als drei Leute tummelten oder Grillfeste gefeiert wurden. Oder wenn dort nach neunzehn Uhr ein Rasenmäher lief.« Wieder sah er auf die Armbanduhr. »Dabei kommt das bei denen genauso oft oder selten vor wie bei allen anderen. Das sind genauso engagierte Kleingärtner wie die Deutschen. Im Gegenteil, sie schaffen oft viel mehr. Sie sind halt auch, ich sag mal: geselliger.« Er ließ sein spöttisches Lachen erklingen. »Aber was red ich. Du weißt ja selbst am besten, wie die Leute so sind. Du bist doch Psychologe, hab ich gehört.«
Stiller hustete. Das sprach sich ja schnell herum. Offensichtlich hörten Kleingärtner das Gras wachsen. »Ich hab den Eindruck, dass hier alle ganz gut miteinander auskommen«, sagte er rasch.
»Das ist auch so«, bekräftigte Froese. »Im Grunde ist eine Laubenkolonie der ideale Hort für Integration. Menschen aus unterschiedlichen Altersgruppen, Ständen und Kulturen, die dennoch ein gemeinsames Ziel eint.« Er klang, als zitiere er eine Werbebroschüre. »Die trotz aller Verschiedenheit viel gemeinsam haben: die Liebe zur Natur, das Bedürfnis nach Ruhe, den Wunsch, etwas zu gestalten, zu säen, zu ernten. Eine große Familie, wenn du so willst.«
»Wobei gestern auch jemand die Spätaussiedler mit dem Tod von Strunke – Josef – in Verbindung gebracht hat«, warf Stiller ein.
Froese wedelte mit der Hand, als wollte er eine aufdringliche Fliege verscheuchen. »Da hast du es wieder. Du kriegst das aus manchen Köpfen einfach nicht raus. Lass mich raten: Bestimmt hieß es ›die Russen‹. Hab ich recht?«
»Du hast recht«, bestätigte Stiller. »Mit denen hätte Strunke besonderen Ärger gehabt. Einen soll er sogar aus der Anlage ausgeschlossen haben. Smirnow oder so ähnlich. Weißt du da was Näheres?«
Spöttisches Lachen. »Bei aller Rücksicht auf frisch Verstorbene: Frag mich mal, mit wem Josef keinen Ärger gehabt hat. Da könntest du hier jeden verdächtigen. Selbst mir ist er auf die Pelle gerückt. Wegen der da.« Er wies mit dem Kinn auf die Vogelscheuche. »Da hat ihn wahrscheinlich die Bio-Blum aufgestachelt.«
»Und Smirnow?«, beharrte Stiller.
»Über solche Sachen hat Josef nicht mit mir geredet. Ich kenne den Fall nur vom Hörensagen, es ging wohl um ständige Streitigkeiten mit einem seiner Nachbarn, einem gewissen Wagner. Wenn du mich fragst, hätte Josef lieber den Smirnow drinlassen und den Wagner rauswerfen sollen. Das ist ein unangenehmer Typ. Der hat nicht nur dauernd mit den Immigranten Krach, sogar auf den Josef ist der mal losgegangen.«
»Ach was! Und worum ging’s?«
»Warum willst du das eigentlich alles wissen?«, fragte Froese zurück.
»Och …« Stiller hob die Hände zu einer Unschuldsgeste. »Ich will mich halt integrieren.«
»Schöne Pfingstrosen übrigens«, wechselte Froese abrupt das Thema.
Stiller blickte sich suchend um. »Nicht wahr?«, sagte er unbestimmt.
Froese zog eine Miene, als habe er das erwartet. Er deutete in Stillers Garten. »Da drüben.« Es war die Blumeninsel, aus der die Blütenfee herauslugte. »Ein großer Botaniker scheinst du mir ja nicht zu sein.«
In der Ferne erklang die Turmuhr der Nilkheimer Kilianskirche. Stiller zählte unbewusst mit. Sieben Schläge. Mit dem letzten erstarb das Röhren des Rasenmähers.
»Wolfgang!«, rief jemand in Froeses Garten. Eine kleine blonde Frau zwängte sich durch die Büsche an den Zaun.
»Das ist Beate, meine Frau«, stellte Froese sie vor. Dann deutete er auf Stiller und klärte sie auf: »Das ist Heiner, unser neuer Nachbar.«
»Vorübergehend«, fügte Stiller hinzu. »Ich bin nur der Betreuer.«
»Angenehm.« Sie bedachte Froese mit einem vorwurfsvollen Blick. »Warum hast du ihn denn nicht auf einen Willkommenstrunk zu uns herübergebeten?« Stiller schenkte sie ein Lächeln. »Jetzt ist es leider zu spät, wir müssen los. Bist du morgen Abend hier? Dann schau doch mal vorbei. Wir haben einen sagenhaften Gyokuro. Eigener Anbau, ehrlich.«
Froese
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