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Stiller Zorn: Roman (German Edition)

Stiller Zorn: Roman (German Edition)

Titel: Stiller Zorn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Sallis
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Tassen Cappuccino die Times-Picayune. In der Zeitung stand nicht viel Neues – der eigentliche Hammer kam von Vicky.
    »Ich habe heute Morgen gekündigt, Lew.«
    »Aha. Dann …«
    Sie nickte. »Willst du dir’s nicht noch mal überlegen, Lew? Willst du wirklich nicht mitkommen?«
    »Ich kann nicht«, sagte ich und stellte fest, wie sehr ich von meinem breiten Südstaatenakzent in das kurze, knappe Britisch verfallen war, das sie sprach.
    »Dann haben wir noch vier schöne Wochen vor uns.«
    Wir schnappten uns ein Taxi und fuhren zum Abendessen in den Commander’s Palace – Forelle blau für mich, Austern in roter Soße für Vicky, dazu zwei Flaschen Wein. Doch die bevorstehende Trennung ließ uns nicht in Ruhe, sie stand zwischen uns wie eine wuchernde Wand aus Gras, wie etwas, das man auf keinen Fall ansprechen möchte und das doch in jedem Satz, in jedem Schweigen mitschwingt. Hinterher tranken wir einen Brandy, gingen zur St. Charles Avenue und fuhren mit der Straßenbahn zurück.
    Sie war wie üblich voller Touristen, Studenten, Besoffener, Arbeiter und alter Leute, die ruhig dasaßen und sich jedes Mal bekreuzigten, wenn wir an einer Kirche vorbeikamen. Ein feister Typ mit krebsrotem Gesicht, der auf der anderen Seite vom Gang saß, starrte Vicky ständig an und beugte sich schließlich zu uns rüber.
    »Ich will Sie ja nicht weiter behelligen, aber wäre es vielleicht möglich, dass wir Landsleute sind?«
    » Je suis Française «, sagte Vicky. » Je ne parle pas anglais .«
    Er stieg an der Jackson Avenue aus, blickte sich noch einmal misstrauisch nach uns um.
    »Gesocks«, sagte Vicky, als ich sie fragend anschaute. »Davon wimmelt’s bei mir daheim nur so. Einer der Gründe, weshalb ich lieber in Frankreich gelebt habe.«
    Ein paar Stationen weiter stiegen wir ebenfalls aus und spazierten zum Apartment zurück. Inzwischen pfiff ein frischer Wind, und die Luft war schneidend kalt. Wir kamen an einer jungen Frau mit einer Kinderkarre ( Sportwagen , würde Vicky sagen) voller Lebensmittel vorbei, einem Trupp Spanisch sprechender Männer, allesamt mittleren Alters, mit Gitarren, Akkordeons und einer kleinen Harfe mit Holzrahmen.
    »Es tut mir leid, ehrlich und von Herzen«, sagte sie, als wir reingingen, »und du wirst mir schrecklich fehlen, Lew, lange, lange wirst du mir fehlen.« Später dann: »Bleibst du noch auf?«
    »Eine Weile.«
    »Weckst du mich, wenn du zu Bett gehst?«
    Ich nickte, wusste, dass ich es vermutlich nicht machen würde. Sie wusste es vermutlich auch, zögerte einen Moment und ging dann. Ich hörte, wie sie das Wasser laufen ließ, sich duschte, die Zähne putzte, hörte, wie der Wecker aufgezogen wurde und im Radio im Schlafzimmer leise klassische Musik lief.
    Ich goss mir ein Teeglas voll Brandy ein und betrachtete das blinkende rote Licht am Anrufbeantworter. Legte Bessie Smith auf und wiegte mich eine Weile in ihrem Blues, ihrer Stimme, die voller Verheißung war, wenn sie von dem leeren Bett bei ihr daheim sang, dem Fluch, der auf ihrem Haus lag, obwohl sie neun Tage lang zu Kreuze gekrochen war, von ihrem Durst und ihrem Hunger. Bei jedem Ton und jedem Wort hatte ich das Gefühl, als würde mir irgendwas tief aus dem Leib gerissen.
    »Cherie war heute Abend da«, erfuhr ich, als ich mich endlich aufraffte und den Anrufbeantworter abspielte. »Baker hier. Rufen Sie mich an. Ich habe vielleicht was für Sie.«
    Ich wählte und ließ es etliche Male klingeln. Schaute auf die Uhr – nach Mitternacht.
    »Ja?«
    »Mister Baker. Tut mir leid, wenn ich Sie aufgeweckt habe. Lew Griffin. Ich war mir nicht sicher, ob das, was Sie haben, warten kann.«
    »Moment«, sagte Baker am anderen Ende. Er legte den Hörer hin. Ich hörte Wasser laufen. Dann war er wieder dran.
    »Es war gegen sechs oder so. Habe gehört, dass jemand an der Tür klopft, habe aufgemacht und da stand sie. Hatte eine Puppe dabei, irgend so eine Art Dinosaurier, für Denny. Hat gesagt, es täte ihr leid, dass sie sich nicht früher gemeldet hätte.«
    »Wie war sie drauf?«
    »Hat gut ausgesehen. Hat mir erzählt, dass sie weg gewesen wäre, dass es für sie wieder ganz gut aussieht. Hat gesagt, sie hätte einen Job und neue Freunde. Ich hab ihr was zu essen gegeben – sie ist schon immer ein bisschen dürr gewesen –, und sie hat sich etwa eine Stunde, vielleicht auch ein bisschen länger, mit Denny abgegeben.«
    »Hat sie Ihnen irgendwas von diesem Job erzählt?«
    »Nein. Aber als sie gegangen ist, hat sie mir

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