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Stiller Zorn: Roman (German Edition)

Stiller Zorn: Roman (German Edition)

Titel: Stiller Zorn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Sallis
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gesagt, dass sie nicht mehr vorbeikommen kann, dass sie die Stadt verlässt.«
    »Und?«
    Er zögerte. »Cherie ist eine gute Freundin von uns, von Denny und mir. Ich sag Ihnen das nicht, weil sie noch ein Teenager ist und wir erwachsene Leute sind, oder weil Sie Denny gefunden haben, als er weggelaufen ist. Ich habe viel drüber nachgedacht.«
    »Und warum erzählen Sie’s mir dann?«
    »Ich glaube, weil sie’s mir dreimal gesagt hat. ›Heute Morgen um zwei Uhr sechsunddreißig steig ich in den Greyhound und haue für immer ab.‹ Fast so, als ob sie wollte, dass ich oder jemand anders sie aufhält.«
    »Ist es so?«
    »Wer weiß? Ich weiß ja morgens meistens selber nicht, was ich eigentlich will. Vielleicht können Sie sie fragen.«
    »Das könnte ich. War sie allein?«
    »Sie war allein hier, ja. Als sie gegangen ist, hab ich aus dem Fenster geschaut. Ein paar Häuser weiter hat ein Auto angehalten, und sie ist eingestiegen. Ein Lincoln, neues Baujahr, dunkel.«
    »Besten Dank, Mister Baker. Grüßen Sie Denny von mir.«
    »Mach ich. Und versuchen Sie Cherie klarzumachen, warum ich Ihnen das sagen musste. Sie ist noch ein Kind, Griffin.«
    »Ja.«
    »Wunderbar, aber trotz allem noch ein Kind.«
    »Noch mal Entschuldigung, dass ich Sie geweckt habe.«
    »Das macht mir überhaupt nichts aus, glauben Sie mir. Ich sitze frühmorgens für mein Leben gern allein hier, bei einer Tasse Kaffee, schaue raus in die Dunkelheit und denke nach, erinnere mich. Ich mache das oft. Aber nicht oft genug.«
    Ich legte auf, als sein Teekessel pfiff, ging ins Schlafzimmer und sah, dass Vicky fest schlief. Sie lag nackt auf dem weißen Laken und wirkte ihrerseits fast wie ein Kind, bleich und klein, so verletzlich. Erinnerungen wurden wach, die mich ansprangen wie Tiger.
    Ich mache das oft, hatte Baker gesagt, aber nicht oft genug.
    Und mir wurde klar, wie viel ich, die Person, die ich jetzt war, an Vicky hatte, am Klang ihrer Stimme und den R , den Büchern, die sie las, ihrer Musik, den dünnen Armen in weißen Ärmeln, den Sandalen, die sie trug, wenn wir zusammen waren, ihrer Sanftheit und Wissbegierde. All das würde mir für immer bleiben, egal, was sonst passieren mochte.
    Ich suchte ein Blatt Papier und schrieb langsam, stockend: Je t’aime toujours, et je te manquerai quand nous nous quittons. Longtemps je te manquerai.
    Ich klemmte es unter den Wecker, der auf ihrem Nachttisch stand, den sie schon seit der Schwesternschule hatte. Ich konnte das Uhrwerk immer noch ticken hören, als ich raus in die schwarze, kalte Nacht ging – wie ein kleines Herz, wie eine Grille, wie eine Nadel, die ein Leben vernäht, etwas, das sich nicht ändert.

7
    Die Greyhoundstation von New Orleans, die unter einem hoch aufragenden Autobahnkreuz versteckt ist, wirkt nicht nur auf den ersten Blick wie eine Bowlingbahn. Es riecht sogar wie eine Bowlingbahn – nach Schweiß, Samenkoller und Frust, nach Bier, Pisse, Desinfektionsmitteln, Tabakqualm, Pommes und Zwiebelringen.
    Vor dem Ausgang stauten sich die Taxis, deren Fahrer auf dem Gehsteig daneben in Rennsportblätter vertieft waren, Zeitung lasen oder eine Runde Crap spielten. Ein großer, ganz in Gelb gekleideter Schwarzer hielt Ausschau nach ankommenden Bussen und jüngeren Frauen. Drinnen trieb sich wie üblich allerlei bunt gemischtes Volk rum – Obdachlose, die auf einen warmen Platz zum Schlafen hofften, Jungs und Mädels, die zu allem bereit waren, was der Markt zu bieten hatte, halbwüchsige Mütter mit Kindern im Arm und im Schlepptau, Soldaten mit Seesäcken, Taschendiebe und Junkies und ein paar ältere Paare, die ihre erwachsenen Kinder besuchen oder sich »mal Amerika anschaun« wollten. Als ich durch die eine Tür reinging, rannte ein Typ, verfolgt von zwei Freunden und Helfern der Stadt New Orleans, durch die Glasscheibe einer anderen. Niemand achtete groß darauf.
    Cherie saß mit großen Augen auf einem Plastikstuhl in einer der hinteren Reihen. Ein billiger Koffer und eine riesige Umhängetasche standen neben ihr am Boden. Auf dem Stuhl neben ihr saß niemand, daher nahm ich ihn in Beschlag. Er glitschte vor Schweiß, Bier oder was auch immer.
    »Hallo«, sagte ich.
    »Kenne ich Sie?« Die Augen wurden noch größer.
    »Nein, Cherie, Sie nicht. Aber ich bin ein Freund Ihres Bruders, ein Freund von Jimmi, und ich muss mit Ihnen reden.«
    »Woher haben Sie gewusst, dass ich hier bin?«
    »Spielt das eine Rolle?«
    Es dauerte einen Moment, dann schüttelte sie den

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