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Stiller

Stiller

Titel: Stiller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Frisch
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nie eine Ehe gewesen, Rolf, auch früher nicht. Nie! Das ist es ja. Im Grunde ist es für dich immer nur ein Verhältnis gewesen, nichts weiter, du hast nie an die Ehe geglaubt –« Rolf lächelte. Sibylle wunderte sich selber über ihre Rede, über ihren anklägerischen Ton. Es war ganz und gar nicht, was zu sagen sie eigentlich das Bedürfnis gehabt hätte. »Rolf!« sagte sie und setzte sich auf die Kante eines Sessels, ohne ihre Handtasche wegzulegen, bereit zum Aufbruch, sobald sie das Gefühl haben sollte, ihm lästig zu sein, »ich bin nicht gekommen, um Vorwürfe zu machen. Nur –« Rolf wartete. »Ich weiß nicht«, sagte sie vor sich hin, »was jetzt geschehen soll.« Rolf stand und schwieg. Warum hilft er mir nicht, dachte sie und vergaß, daß er vieles einfach nicht wissen konnte, keine Ahnung hatte, woher Sibylle kam und was geschehen war. »Ich habe nie gedacht«, redete Sibylle, »daß wir so weit kommen würden. Ich habe mir unter Ehe etwas anderes vorgestellt. Du mit deinen Vorträgen! Ich dachte, du redest aus Erfahrung ...« Sie sah ihn an. »Ich weiß nicht«, sagte er, »was du willst.« Sibylle mußte sich wirklich besinnen. »Ich beklage mich nicht, Rolf, ich habe kein Recht dazu. Darum ist es ja so gekommen! Du bist frei, ich bin frei, und dabei ist alles so jämmerlich ... Was ich will?« fragte sie zurück. »Das weißt du nicht?« Ein etwas spöttisches Lächeln, mag sein, sogar ein verächtliches Lächeln kam auf ihr Gesicht, so wie man eben einen Menschen betrachtet, der sich verstellt. Denn soviel Fremdheit, schien ihr, konnte doch nur Verstellung sein. Wozu diese Komödie? Und dann plötzlich wollte Sibylle sich an seine Brust werfen, blieb aber einige Schritte vor ihrem Gatten stehen, als kämesie nicht durch seinen Blick hindurch. »Du hassest mich?« fragte sie mit einem schwachen unwillkürlichen Lachen. Wenn ein Mensch, ein vertrauter, uns zum erstenmal haßt, wirkt es ja fast wie eine Farce, aber es war sein wirkliches Gesicht, wahrhaftig, und ihr Lachen gefror. Er haßte sie. Er sah auch ganz anders aus. Sibylle erkannte ihn nicht mehr; er glich sich selber nur noch äußerlich. »... Liebhaber!« fuhr sie irgendwo in ihren Gedanken fort. »Ich habe keinen Liebhaber gesucht, das weißt du ganz genau!« – »Sondern?« – »Ich brauche nicht irgendeinen Mann. Das ist deine Theorie! Auch in dir habe ich nicht irgendeinen Mann gesucht. Warum hast du je geheiratet? Für dich bleibt es eben irgendeine Frau. Das ist es ja, warum ich sage, du bist ein Junggeselle, ein verheirateter Junggeselle. Lächle nur! Entweder ist die Ehe ein Schicksal, meine ich, oder sie hat überhaupt keinen Sinn, sie ist ein Unfug. Was ich will, fragst du? Ich habe mich blöd benommen, ich weiß. Es hat mir wehgetan, wenn du dich irgendwo verliebt hast, das ist wahr, und vielleicht bin ich kleinmütig gewesen. Spielraum in der Ehe, was heißt das? Ich will keinen Spielraum, ich will, daß ich für meinen Mann nicht ›irgendeine‹ Frau bin. Warum verstehst du das nicht? Auch mein Vater ist nicht ›irgendein‹ Mann für mich. Und Hannes ist nicht ›irgendein‹ Kind, das wir nun gerade liebhaben, weil’s uns gefällt ... Ach Rolf«, unterbrach sie sich, »das alles ist doch Unsinn!« – »Du willst also sagen«, faßte der Staatsanwalt zusammen, »daß wir nie verheiratet gewesen sind?« – »Ja.« – »Und daß du infolgedessen gar keinen Grund hast, mir zu sagen, wo du in diesen Tagen gewesen bist«, sagte er und zündete sich eine neue Zigarette an. »Ich verstehe nicht, warum du überhaupt zu mir gekommen bist.« – »Wenn du so redest, verstehe ich es auch nicht!« sagte Sibylle. »Ich bin gekommen, um wirklich mit dir zu sprechen. Du hast jetzt keine Zeit, ich weiß. Du hast nie Zeit, wenn’s dir nicht paßt. Und dann komme ich wirklich immer im dümmsten Augenblick!« Rolf rauchte: »Was wolltest du wirklich mit mir sprechen?« – »Ich bin naiv, du hast recht. Ich bin es noch heute. Nur macht mir dein überlegenes Lächeln nichts mehr aus!« sagte sie. »Irgendwie finde ich dich einfach dumm.« Sie präzisierte: »Du kannst dich nur besser ausdrücken als ich, drum habe ich dich stets reden lassen. Hast du denn gemeint, ich halte dich für den einzigen liebenswerten Mann? Ich habe verstanden, daß du meiner so sicher gewesen bist, Rolf, aber in einem ganz anderen Sinn ... Erinnerst du dich an meinen britischen Offizier damals in Kairo?« fiel ihr ein, »du hast ihn nie ernst genommen,

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