Stiller
Stiller, der mit scheuem Hunger ein Brötchen aß, fragte: »Wer ist Charles Boyer?« Der himmlische Tänzer, der Franzose, und sie erzählte, während Stiller gerade den Châteauneuf-du-Pape kosten mußte, die ›süße‹ Geschichte, wie sie diesen Franzosen, übrigens ein Herr aus dem diplomatischen Dienst, beim Tanzen scherzhaft als Charles Boyer angesprochen hätte, und in der Tat, er hieß Boyer. »Ist das nicht komisch?« fragte sie. Stiller blickte sie an wie ein Hund, der die menschliche Sprache nicht versteht, und es fehlte wenig, daß Sibylle ihn gestreichelt hätte wie einen Hund. Sie tat es nicht, um keine Hoffnungen zu stiften. Als sie sah, daß Stiller bereits aus seinem Glas getrunken hatte, sagte sie munter: »Prosit!«, worauf er verlegen wurde, sein fast schon leeres Glas hob: »Prosit –«. Und bei alledem war es Sibylle so übel, daß sie fast nichts von ihrem Filet Mignon essen konnte; Stiller hingegen, ob es ihn nun ekelte oder nicht, hatte seine zwölf Schnecken zu verspeisen, während Sibylle – sie mußte die ganze Unterhaltung liefern, so langweilig war er! – bereits eine Zigarette ansteckte und ferner berichtete: »Sturzenegger hat mir geschrieben! Er braucht eine Sekretärin, was sagst du dazu, und ausgerechnet mich!« Stiller grübelte in seinen Schneckenhäusern. »Er ist verliebt in mich«, ergänzte Sibylle, »das ist sogar meinem Mann aufgefallen. Im Ernst. Ich mag ihn ja, deinen Freund ...« Dazwischen gab sie Anweisungen: »Den Saft mußt du auch nehmen, mein Lieber, das ist doch das beste dran!« Stiller gehorchte und nahm den Saft. »Im Ernst«, fuhr Sibylle fort, »Sturzenegger hat mich eingeladen. Es gefällt ihm ja wahnsinnig, scheint es, da drüben in Kalifornien. Hundert Dollar in der Woche, was sagst du dazu, und die Überfahrt bezahlt! Hundert Dollar ist allerhand, glaube ich, und in einer Viertelstunde bist du am offenen Meer –«
Usw.
Erst auf dem Heimweg kam es zu einem etwas wirklicheren, wenn auch kurzen und einseitigen Gespräch. Sie gingen durch girrenden Schnee, Hauch vor dem Mund; es war bitterkalt, aber schön, links und rechts die Wälle von Schnee, die Häuser wie unter weißen Daunenkissen, Sterne darüber, eine Nacht aus Porzellan. »Wo wohnst du denn eigentlich?« erkundigte sich Sibylle, als man vor dem kitschigen Portal ihres Hotels stand. »Bist du morgen noch hier?« fragte sie weiter, um den Abschied, wenn möglichden endgültigen, einzuleiten. »– es war einfach ein solcher Schock für mich«, sagte sie in sein Schweigen hinein, »jetzt plötzlich paßte es dir, jetzt wo du ohnehin nach Paris fahren mußtest, jetzt hattest du einen bequemen Vorwand, jetzt sollte ich kommen, jetzt war unser Paris auf einmal möglich. In diesem Augenblick, siehst du, kam ich mir wie deine Maitresse vor ...« Stiller schwieg, und ob er begriff, was in ihr zerbrochen war, blieb ungewiß. Was brütete er? Und da sie sonst nichts zu erklären hatte, erkundigte sich Sibylle nach dem Namen irgendeines Sternbildes über dem verschneiten Portal, mußte allerdings zweimal fragen, bis Stiller eine Auskunft gab. »Ja –«, sagte sie dann, als hätte es irgendeinen Zusammenhang mit diesem Sternbild, »wo werde ich sein in einem Jahr? Ich weiß es wahrhaftig nicht. Vielleicht wirklich drüben in Kalifornien! ... Es ist komisch«, fügte sie hinzu, »bei dir weiß man es so genau. Du wirst dich nie verändern, glaube ich, nicht einmal in deinem äußeren Leben.« Sie hatte es nicht böse gemeint, spürte aber die Lieblosigkeit ihrer Worte und wollte mildern: »Oder glaubst du denn selber, daß du je ein andrer wirst?« Das tönte nicht liebevoller, im Gegenteil. Alles Reden war jetzt einfach verfehlt. »Ach Stiller«, sagte sie schließlich, »ich habe dich wirklich sehr liebgehabt –« Ein trainierender Langläufer, so einer wie Nuot, flitzte mit schwungvoll gezogenen und leise klappernden Skiern an dem stummen Paar vorbei. Sie blickten ihm nach, als interessierte sie der Sport über alles; leider entschwand er ihren Blicken und ließ sie abermals allein miteinander. Und dann war wohl das Schlottern einfach nicht mehr auszuhalten; sie trennten sich – zum Abschied noch nicht fähig – mit der raschen Verabredung zu einem Frühstück am nächsten Morgen.
Zu jenem Frühstück erschien Stiller nicht.
Zwei Tage später, als Sibylle aus dem Speisesaal kam, begleitet von dem Herrn aus Düsseldorf – stand er da, ohne daß er auf Sibylle zutrat, wie ein Gespenst. »Warum
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