Stiller
bißchen Einsicht erzwingen; alle anderen Konfrontationen haben mich ja nicht bewegt. Was blieb meinem Verteidiger also noch übrig? Knobel setzt es in den staubigen Schaukelstuhl, das Greislein, das in Hochachtung vor Gericht und Behörde und Herr Doktor und Tänzerin aus Paris förmlich vergeht. Ich weine, als ich ihn erkenne, und merke, daß er mein Weinen nicht sieht. Er ist ziemlich vertrottelt. Ich drehe mich um, zu feige für diesen Anblick, der mich im Grunde doch nicht überrascht; damals in der nächtlichen Bowery, als er mir einfiel, hatte ich ihn mir nicht viel anders vorgestellt. Jetzt höre ich sie nur hinter meinem Rücken, seine bösartig helle und dünne Greislein-Stimme: Soso, da bist du wieder, soso! Er kichert, und mein Verteidiger muß ihn aufmerksam machen, wer von den Anwesenden als sein Sohn in Frage komme. Erkichert: Ein netter Sohn, jaja, kümmert sich überhaupt nicht um mich, soso. Mein Verteidiger fragt ihn, ob er mich erkennen würde. Soso, kichert er, einfach auf und davon, ein netter Sohn, und wenn er nach Jahr und Tag wieder ins Land kommt, nein, fällt ihm nicht ein zu fragen, ob man noch lebt, ein netter Sohn! ... Natürlich tat ich nun das Verkehrteste.
»Schluß mit dem Unfug!« sagte ich so frech wie möglich. »Ich kenne dich nicht.«
Soso, kicherte er, soso.
»Schluß jetzt!« schrie ich, und meine Lächerlichkeit, ich fühlte es, war so grenzenlos, der Augenblick so unerträglich – aus purer Hilflosigkeit ergriff ich irgendeine Gips-Sache, anfänglich nur, um zu drohen, sah aber das gelassene Gesicht der schönen Julika, ihre kaum lächelnde Gewißheit, daß ich, ihr Stiller, niemals wagen würde, irgend etwas gegen sie zu schleudern, und siehe da, ich wagte es auch nicht. Ich schmetterte das Gips-Zeug irgendwohin, meiner Lächerlichkeit bewußt, wie gesagt, und wütend über diese meine Lächerlichkeit (die andern verhielten sich durchaus würdig) nahm ich das nächste, einen Kopf, schmetterte ihn auf den Boden, wo er bloß rollte und nicht zersprang, ich fühlte eine Ohnmacht wie in bösen Träumen, eine Ohnmacht sondergleichen, so kräftig ich das Zeug auch schleuderte, dabei übrigens von niemand behindert, auch mein Verteidiger und Knobel sahen nur zu, verdutzt, jedoch vollends überzeugt, daß ich der verschollene Herr Stiller bin und somit das Recht habe, in diesem Atelier alles kurz und klein zu schlagen, nur das Hundchen bellte, und ihr Mißverständnis spürte ich wie eine Lähmung, derart, daß ich diese Dinger teilweise kaum von den Sockeln zu heben vermochte, also hielt ich mich an die kleineren Figuren, knallte sie gegen die Wand, einige zersprangen dann doch, was mich in Lust versetzte, doch drohte schon die Blamage, daß meine Wut nicht ausreichen würde, alles zu zerschmettern, nur so das Kleine, während die größeren Arbeiten, weil ich sie nicht vom Sockel heben konnte, meine Wut überdauern würden. Und diesen Hohn, worauf sie nur warteten, glaubte ich nicht ertragen zu können, ja, eigentlich war es nur noch meine Angst vor diesem Hohn, was mich weiter zu toben nötigte. Nur jetzt nicht auf halber Strecke bleiben! Wo es irgendwie ging, stieß ich die Gestelle um und sah sehr bald, daß ich auch auf diese Weise nicht zu Ende kommen würde. Es war eine Arbeit! Und niemand sagte ein Wort, so überzeugt waren sie, daß ich es jeden Augenblick aufgeben würde, nur immer das fremde Hundchen bellte, und ich war nur noch verzweifeltüber meine Eitelkeit, die mir verbot, mit diesem Unsinn aufzuhören, mit diesem Zerschmettern von Gips-Zeug, dem niemand nachtrauerte, es schien kein Ende zu nehmen, bis ich, jetzt mit einer eisernen Bauklammer gerüstet, allen Gips zerschlagen oder wenigstens rettungslos verstümmelt hatte, aber nun gab es ja noch die Bronzen, nicht eben viele, immerhin einige, die erste so schwer, daß Schleudern gar nicht in Frage kam, aber ich mußte jetzt einfach durchhalten, auch mit den Bronzen fertig werden, mit den Bronzen vor allem, mit aller Kraft konnte ich die erste gerade heben, ließ sie auf den Boden fallen, als einziger lachend darüber, wie wenig es dieser Bronze ausmachte, einmal oder zweimal oder zehnmal auf den Boden zu poltern, dann zum offenen Fenster damit! Jetzt freilich sprangen sie empor, ängstlich um fremdes Leben irgendwo in einem Hof, der Knall auf dem Wellblechdach war Labsal für mich, o ja, jetzt kam meine Lust an dieser Zerstörung wieder, meine körperliche Kraft auch, Knobel fiel mir in den Arm, hatte aber
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