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Stiller

Stiller

Titel: Stiller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Frisch
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Stiller, mein Verteidiger vondiesem Kern überzeugt, alles andere ist Schall und Rauch, der Name zum Beispiel, aber Ordnung muß sein, einen Namen muß jeder tragen, mein Verteidiger gewiß kein Bürokrat, mein Verteidiger geradezu erschüttert von seinem Einblick in diese Ehe zweier so wertvoller Menschen, mein Verteidiger selbst verheiratet, Schwierigkeiten alle schon erlebt, alle überwunden, aber Opfer vonnöten, Opfer und nochmals Opfer, dafür Friede in der Seele, Seele noch immer das Wichtigste, heutzutage genug Materialismus in der Welt, ein bißchen Glaube an Gott unerläßlich, Zerstörung der wahren Werte durch die Hast unseres modernen Verkehrs, ferner durch Kino und Sport, beispielsweise durch Bau von Stadions, die uns vermassen, vor allem aber durch Kommunismus, mein Verteidiger aber großherzig genug und weit davon entfernt, daß er Stiller seine jugendliche Spanienkämpferei nachtragen möchte, Schwamm darüber, mein Verteidiger war auch einmal bei einer Partei, die dann einging, Schwamm darüber, Irren ist menschlich und Franco wichtig für Europa, Stiller konnte ja nicht wissen, wie’s kommt, und niemand kann das, nein, auch mein Verteidiger nicht, um so wichtiger die ewigen Gesetze, die Zehn Gebote noch immer das Beste, du sollst dir kein Bildnis machen, wie Frau Julika immer wieder sagt, sehr richtig, sehr richtig, aber du sollst dich auch nicht gelüsten lassen und töten schon gar nicht, jedenfalls nicht im Frieden, als Mitrailleur ist es etwas anders, versteht sich, Antimilitarismus eine Mode von vorgestern, aber davon jetzt nicht die Rede, sondern, wie gesagt: Du sollst nicht töten, mein Freund, und zwar nicht einmal in Gedanken, man tut das nicht, hierzulande nicht, Familie als Keimzelle des Volkes, Frau Julika nicht zu alt für Kinder, immer schon ihr heimlicher Wunsch gewesen, nur Arbeiter pflanzen sich scharenweise fort, ein bedenkliches Versagen unserer Intellektuellen in diesem Punkt, nicht auf das Einkommen kommt es an, sondern auf den inneren Willen, auch ein anständiger Künstler kann in der Schweiz so viel verdienen, daß eine maßvolle Fortpflanzung nicht als ausgeschlossen bezeichnet werden darf, großartige Stipendien allerenden, Charakter des betreffenden Künstlers vorausgesetzt und dies mit Recht, weiß Gott, mit Recht, keine Kinder von Trinkern und Linksverdächtigen, die Freiheit ist ein köstliches Gut, kurzum, die Schweiz noch immer ein ideales Land und nicht zu vergleichen mit dem so traurigen Frankreich, das immer nur streikt, also nochmals Kopf hoch, Hand aufs Herz und Schwamm darüber, es wird schon, mein Freund, es wird schon, es muß ja, auch ein Rechtsanwalt muß immer wieder von vorne anfangen, Schicksal des Menschen,aber alles zu machen mit ein bißchen Glauben an Gott, auch darin wieder nicht fanatisch, versteht sich, sondern alles mit gesundem Schweizersinn, das Soziale versteht sich von selbst, ja, und dann noch ein Punkt: Stiller soll Stiefvater im Altersasyl nicht vergessen, oder wie Goethe so schön sagt: Was du von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen, geistig gemeint, menschlich gemeint, es ist nicht schön, wenn einer den Stiefvater im Altersasyl vergißt, tut man nicht, Pietät am Platze, Stiller nicht allein auf der Welt, Herrgott nochmal, sondern ein Glied in der Gemeinschaft, Halt in der Gemeinschaft, Pflichtbewußtsein am Platze, aber alles mit ein bißchen Liebe, nicht immer nur an sich selbst denken, Herr Stiller, ein Beispiel nehmen an Frau Julika, nochmals alle Achtung vor dieser feinen und tapferen Frau, die mit einem so schwierigen Mann verheiratet zu sein auf sich nimmt, also nochmals: Hände reichen, denn Leugnen hat keinen Zweck mehr, Beweise erdrückend, es bleibt nur noch das freiwillige Geständnis, Herr Stiller, also Mut und ein bißchen Vernunft, ein bißchen Glaube an Gott und an Frau Julika, an die Ehe, an die Schweiz, an das Gute in mir selbst, ein bißchen –
    So mein Doktor Bohnenblust.
    Ich rechne es Julika hoch an, daß sie in dem Augenblick, als man das Greislein aus dem Altersasyl hereinführt, wenigstens errötet wie eine Gattin, wenn die bestellten Irrenwärter mit der Zwangsjacke in die Wohnung kommen. Im ersten Augenblick halte ich ihn übrigens für den Hausierer von vorher, stutze, wie mein Verteidiger sich sofort um einen Sessel bemüht, höflich aus Scham; denn so peinlich hat er es sich wohl nicht vorgestellt. Er wollte ja nur, wie man es mit verstockten Häftlingen macht, durch Konfrontation ein

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