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Stiller

Stiller

Titel: Stiller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Frisch
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dürfe sie nicht, und ich fand es schade, daß Frau Julika nicht wenigstens nippte. Irgendwie schloß sie sich von vornherein aus. Nichts heikler, finde ich immer wieder, als ein Zusammensein zu dritt! In der Folge gab ich mir redliche Mühe, mich nicht einfach mit Stiller verbünden zu lassen. Es ist leicht mit ihm, er hat ein feminines Talent zur Anpassung, und Frau Julika ihrerseits wehrt sich überhaupt nicht dagegen, ausgeschlossen zu sein. Wortlos lag sie in ihrem Haar; ihr Gesicht, das ich von der Seite sah, fesselte und beunruhigte mich im gleichen Maß, ihre Miene erschien mir wie ein stumm gewordenes Erschrecktsein in Permanenz. Stiller kümmerte sich nicht darum, gefiel sich in geistreichem Geflunker, wobei er sich öfter auch an Frau Julika richtete, dann mit einem Unterton zärtlicher Bitte, halb Rücksicht und halb Nötigung. Oft dachte ich: er macht es sich zu leicht, er zahlt mit Charme, wovon er genug hat, das kostet ihn nichts. Auch will Stiller immerzu etwasgutmachen, dünkte mich, dann wird er höflich bis zur Ängstlichkeit. »Laß doch!« bat Frau Julika, »ich brauche kein Kissen, wirklich nicht!« Stiller fand sich abgewiesen, nach seinem kurzen Blick auf Frau Julika zu schließen: ungerechterweise abgewiesen. Zum Richter bestellt hätte ich wohl Frau Julika, was die Überflüssigkeit des dargebotenen Kissens betraf, recht geben müssen. »Wo willst du denn deine künftige Brennerei einrichten?« fragte ich ablenkend; doch Stiller vermochte nicht zu hören. »Warum willst du denn dieses Kissen nicht?« bedrängte er die arme Frau Julika, die es endlich nahm, seiner Ruhe zuliebe, danklos, sie schob es nicht unter den Nacken, sondern unter die Knie, wo es sie weniger störte. Zwei Leute guten Willens! dachte ich und lobte den heiteren Wein. Ohne rechten Zusammenhang kam ich auf die kleine Geschichte, die ich unlängst gehört hatte: »Du hast doch einmal Mexiko entdeckt«, sagte ich, »das wird dich interessieren! Da hatte einer eine Schweinezucht, ich weiß nicht mehr wo, aber die rentierte nie, ich weiß nicht warum, er krampfte und schuftete, nichts zu machen, dabei hatte er seine ganzen Mittel und sein halbes Leben investiert, seinen ganzen Ehrgeiz, kurz und gut, die Sache also rentierte einfach nicht, und dann kam noch eine katastrophale Trockenzeit. Gibt es das nicht? Der Fluß trocknete aus, ich weiß nicht welcher, und dann ist es doch so, sagt man, daß die Krokodile auf Wanderschaft gehen zum nächsten Wasser querfeldein. Eines schönen Tages kommt so ein Rudel von Krokodilen, ihr Weg führt sie schnurstracks durch seine Schweinezucht. Was tun? Der Unglückliche könnte auf sein Dach steigen, zum Beispiel, und sie niederschießen. Aber das tut er nicht! Er läßt sie alle seine Schweine fressen, die sowieso nie haben rentieren wollen, macht unterdessen einen stärkeren Zaun um das Ganze, bekommt eine Krokodilfarm, wird Lieferant für Handtaschen und ist ein gesegneter Mann.« Stiller lachte laut. »Soll wahr sein!« fügte ich hinzu. »Ist das nicht himmlisch?« drehte sich Stiller zu Frau Julika. Ihr Lachen blieb reine Mimik, und eigentlich, so scheint mir in der Erinnerung, habe ich nie ein anderes Lachen von dieser Frau gesehen. Ihr Lachen blieb immer auf dem Gesicht; es war, als hätte sie kein inwendiges Lachen, als hätte sie es verloren. Es war vollkommen verfehlt, Frau Julika aufheitern zu wollen; nachher kam man sich richtig blöd vor. Ich ärgerte mich jetzt über mich selbst. Wozu dieses Gerede! Es war ein herbstlicher Spätnachmittag mit milder Sonne, die Stunde, wie Stiller sie in einem Brief beschrieben hat: »– und dann, mein Verehrter, wenn wir draußen sitzen und die herbstliche Sonne genügt,um dich selig zu machen, wenn es wieder Trauben gibt, wenn über dem See so metallischer Dunst hängt, die Höhen aber klar sind und bunt mit goldigen Wäldern vor einem Mittelmeerhimmel, und über den ganzen See hin blendet eine Straße aus purem Quecksilber, später aus blinkendem Messing, dann aus Kupfer –« Mit dem Quecksilber war es schon vorbei, der See lag im Messingstadium. Ab und zu mußte ich mich wieder umsehen; die immerlustigen Gartenzwerge, das Chalet mit seinem Türmlein, das Unkraut, die graue Aphrodite, der leere und vermooste und von braunem Laub gefüllte Brunnen mit der rostigen Wasserröhre, die Veranda mit ihrer Jugendstil-Verglasung, der Efeu, das blutrote Funiculaire in der Abendsonne, all dies blieb etwas unwahrscheinlich. Sie selber, Stiller und Frau

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