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Stiller

Stiller

Titel: Stiller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Frisch
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Sandstein mit gebrochenem Arm, ein kleiner Dschungel, was wohl der Rosengarten sein sollte, viel Treppen überall, schief, links und rechts mit Balustraden versehen, einige sind verbröckelt und zeigen, daß alles nur Zement ist, ein veralgtes Brunnenbecken, ein altes Hundehaus, Terrassen voll Unkraut, das etwa war der Garten, bevölkert von einer beträchtlichen Zahl fröhlicher Gartenzwerge aus bunter Keramik, teilweise geborsten, teilweise unversehrt. Noch hielt ich es lediglich für einen Durchgang zu seiner eigenen Liegenschaft. Stiller redete und redete, unbehelligt von der skurrilen Umwelt, die ihm ja bekannt war. Das Haus selbst, ein Chalet, war glücklicherweise von viel Efeu überwuchert, nur der obere Teil blieb in seiner Kitschigkeit sichtbar, ein Türmlein aus Backstein mit niedlichen Schießscharten; dabei eine hölzerne Fassade mit wuchernder Verschnörkelung, wie mit einer Laubsäge gemacht, anderswo Quader aus Tuffstein, all dies vereinigt unter einem maßlos vorspringenden Dach und dabei gar nicht groß, eher winzig, wie ein Spielzeug, ich traute meinen Augen nicht. Es war ein Schwyzerhüsli, teilweise mit einer schottischen Burg fern verwandt. Stiller zog nun seine zwei Flaschen aus den Rocktaschen, kramte einen Schlüssel aus seiner Hose hervor und erklärte, Frau Julika würde etwa in einer Stunde aus ihrer Mädchenschule kommen. Wir befanden uns also am Ort. Wie bei vielen Chalets dieses Stils gab es auch hier eine Tafel aus falschem Marmor mit der goldenen, bei einzelnen Lettern schon schwärzlichen Anschrift MON REPOS. Das Innere brachte keine Überraschungen mehr. Ein hölzerner Bär war bereit, Schirme in Empfang zu nehmen, darüber ein fleckenweise blinder Spiegel. Es war ein sonniger Nachmittag, und an alle Zimmerdecken spiegelte das Licht des GenferSees auf grauer Stuckatur oder auf entblößten Schilfrohrmatten. Ein grünliches Licht, wie von einem Aquarium, kam durch die Veranda mit Jugendstil-Verglasung. Die Bundesbahn hörte man wie schätzungsweise in der Wohnung eines Bahnwärters, und ganz in der Nähe säuselte bereits auch das geschmierte Drahtseil eines Funiculaire. Stiller war beschäftigt, so daß ich mich umsehen konnte oder mußte, um die Zeit zu vertreiben; er stellte unseren Weißwein unter einen kalten Wasserstrahl. Später saßen wir im Freien draußen, umgeben von den immerlustigen Gartenzwergen, auf einer moosigen Balustrade, und endlich mußte ich es doch sagen: »Das also ist deine ferme vaudoise?!« Stiller schien auf einen Unterschied zwischen Schilderung und Realität überhaupt nicht einzugehen, er sagte lediglich: »Daß du meine achtzig Ulmen nicht mehr erlebt hast, ist ein Jammer; jetzt hat man sie gefällt, sie waren krank, heißt es.« Und damit war der Scherz erledigt. Ich fragte: »Wie geht’s dir?« und hatte den Eindruck, daß Stiller sich vorgenommen hatte, nicht zu klagen. »Wie geht’s denn deiner Frau?« fragte er zurück. Auch in den weiteren Gesprächen mied er es, ihren Namen in den Mund zu nehmen; ich weiß nicht warum. Sonst erkundigte er sich nach niemand, und unser Gespräch war eigentlich sehr mühsam. »Warum stellst du diese Gartenzwerge nicht in den Schopf?« fragte ich, um etwas zu reden, und Stiller zuckte die Achsel: »Ich habe keine Zeit, ich weiß nicht, sie stören mich nicht!« Und trotz allem hatte ich das Gefühl, daß der Besuch ihn erfreute. »Wenn Julika kommt«, sagte er, »trinken wir unseren Wein!« Unterdessen rauchten wir ... Ich erinnere mich an jene etwas nichtssagende Viertelstunde sehr genau. Was macht der Mensch mit der Zeit seines Lebens? Die Frage war mir kaum bewußt, sie irritierte mich bloß. Wie hält dieser Stiller es aus, so ohne gesellschaftliche oder berufliche Wichtigkeiten gleichsam schutzlos vor dieser Frage zu sitzen? Er saß auf der verwitterten Balustrade, ein Knie emporgezogen, die Hände um dieses Knie geflochten; bei seinem Anblick konnte ich mir nicht vorstellen, wie er sein Dasein aushielt, ja, wie überhaupt ein Mensch, einmal seiner Erfahrung bewußt und also frei von allerlei nichtigen Erwartungen, sein Dasein aushält! ... Seine Töpferei befand sich in einem Souterrain hangabwärts mit gutem Licht, ehedem Waschküche mit Trockenraum und Magazin für Gartenmöbel, ehedem weiß getüncht, jetzt hatte der Raum eine Tapete von grauem Schimmel trotz der Sonne von Mittag bis Abend. Ich war erleichtert; hier konnte ich mir die Tage unseres Freundes eher vorstellen. »Man muß etwas tun!« sagte er

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