Stiller
Julika, trugen diese Umwelt wie einen fremden Anzug mit dem unausgesprochenen Bewußtsein, daß alle Anzüge schließlich fremd und provisorisch sind. Ich bewunderte sie. Was wirklich zu ihnen gehörte, war eben die Sonne mitsamt ihrem großen Glanz auf dem Spiegel des Genfer Sees, die Töpferei da unten im Souterrain, allerlei Schwierigkeit, wie sie unter Menschen üblich ist, und wohl auch ihr hilfloser Gast. Sobald man Frau Julika einfach in Ruhe ließ, ging alles ganz selbstverständlich. Nun wollte Stiller jedoch wissen, ob ich an den erzieherischen Wert der rhythmischen Gymnastik glaubte. Frau Julika plädierte ohne rechte Überzeugung dafür, Stiller war der Meinung, Frau Julika sollte sich wieder einer rein künstlerischen Arbeit widmen, in Lausanne eine eigene Ballettschule aufziehen. Zur Erörterung der praktischen Hindernisse kam es gar nicht; Frau Julika war geradezu heftig, Stiller traurig, daß sie nichts von ihm annehmen wollte, weder ein Kissen noch seinen späten Glauben an ihre Künstlerschaft. Verstimmt erhob er sich, um die andere Flasche zu holen ... »Rolf«, sagte sie sofort unter vier Augen, »Sie müssen es ihm ausreden! Es geht doch gar nicht. Ich bitte Sie, Sie müssen es ihm ausreden! Er macht mich wahnsinnig mit dieser Idee!« Mein Versuch, die Idee einmal nach ihren praktischen Möglichkeiten abzuwägen, zu bedenken, was Stiller sich für Frau Julika davon erhoffte, und zu fragen, welche Zukunft sich Frau Julika selber wünschte, stieß auf völlig taube Ohren; sie hatte sich, da auch mit mir nicht zu reden war, wieder zurückgelegt, schüttelte ihren Kopf noch im Liegen. »Was will er denn immer von mir!« sagte sie endlich, da ich schwieg, mit großer Mattigkeit. Ihre Augen glänzten wässerig; ihre schlanken blassen Hände klammerten sich an die beiden Sessellehnen, wie man es beim Zahnarzt tut, um nicht zu zittern. Ihr ganzes Gehabe, ich gestehees, schien mir exaltiert, und ich sah mich zur Stellungnahme in einer offenbar schon lange umstrittenen Sache aufgerufen, wozu ich zumal mit meinem Mangel an fachlichen Kenntnissen gar keine Lust hatte. »Stiller hat mich ja schön zum Narren gehalten«, sagte ich, »mit seiner ferme vaudoise!« Darauf ging sie gar nicht ein. »Aber diese Lage!« plauderte ich weiter, »was ich am Genfer See vor allem liebe –« Sie hörte weder mein Geplauder noch meine Bemühung, darüber hinaus zu einem rechten Gespräch zu kommen. »Reden Sie es ihm aus!« bat sie nochmals, erregt wie zuvor. »Wie stellen Sie sich das denn vor!« wehrte sie sich mit Heftigkeit nun auch gegen mich, milderte dann höflich: »Es geht nicht, glauben Sie es mir. Es geht nicht.« Und kurz darauf: »Er kann’s ja nicht wissen.« – »Was kann er nicht wissen?« fragte ich nun, »was meinen Sie damit?« – »Fragen Sie nicht«, bat sie, raffte sich zusammen, setzte sich aufrecht, nahm sich eine nächste Zigarette; ich zückte mein Feuerzeug. »Ich sollte nicht immer rauchen«, meinte sie wie erschreckt oder so, als hätte ich sie dazu genötigt, jedenfalls ohne Dank für das Feuer, das sie infolgedessen nicht brauchte. »Er kann’s nicht wissen«, sprach sie vor sich hin, »ich bin beim Arzt gewesen –« Sicherlich hatte Frau Julika mit niemand davon sprechen wollen, bereute, damit begonnen zu haben; natürlich wartete ich noch auf einen Bescheid, wenn auch stumm. »Die ganze linke Lunge«, sagte sie. »Ich möchte nicht, daß er es jetzt schon weiß. Es muß sein. Sobald wie möglich.« Ihre plötzliche Ruhe, eine Art von Gefaßtheit, daß ich die unglückliche Frau für vollkommen ahnungslos halten mußte, wiewohl sie in der Folge selbst den medizinischen Ausdruck gebrauchte, den ihr zwar nicht der Arzt, jedoch ihr eigener Verstand gesagt hatte, ihre Klaglosigkeit dabei bestürzten mich, so daß ich auf den Boden blickte, als suchte ich etwas im Kies, und nicht wagte, in ihr Gesicht zu blicken, um nicht durch meine Miene zu verraten, was zu denken sich mir aufdrängte. »Ja«, sagte sie trocken, »so ist das.« Ich übernahm ihren trockenen Ton. »Und wann soll diese Operation denn sein?« fragte ich. »Sobald als möglich«, wiederholte sie. »Ich weiß doch nicht! Sobald ich keine Angst habe.« ... Kurz darauf kam Stiller mit der anderen Flasche. Er ginge noch rasch nach Glion hinauf, sagte er, um Trauben zu holen ... »Reden Sie es ihm aus!« wiederholte Frau Julika, als ginge es jetzt immer noch um die Idee mit der Ballettschule. Sie lag nun wieder in ihrem
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