Stiller
ihm nie einen Vorwurf daraus, daß er nicht wie ein Direktor verdiente. Julika ging sogar so weit, den ärztlichen Rat vor Stiller zu verschweigen, um ihn zu schonen, um ihm nicht das Gefühl zu geben, daß er zu wenig verdiente. Julika erwartete von ihm nur, daß er auch sie ein bißchen schonte. Ihre Ehe in jenen ersten Jahren soll wundervoll gewesen sein. Julika verdiente also beim Ballett ihre sechshundertzwanzig Franken im Monat, und wenn Stiller einmal Glück hatte und eine Figur verkaufen konnte, sei es für einen öffentlichen Brunnen oder so, ging es ganz ordentlich. Julika war ja bescheiden. Julika war zu sehr Künstlerin, als daß sie je von einem Mann, den sie ja doch liebte, im Ernst verlangt hätte, er sollte seine Begabung verraten, um besser für seine Frau sorgen zu können; höchstens im Scherz sagte sie so etwas. Wie begabt er nun eigentlich war, ihr verschollener Stiller, darüber gingen die Meinungen offenbar von Anfang an auseinander, und es gab Leute, die ihn nie für einen Künstler hielten. Julika glaubte natürlich an ihn. Und jedenfalls arbeitete er verbissen. Ihre Erfolge im Ballett, denen Stiller keine eigenen entgegenzustellen vermochte, machten ihm etwas zu schaffen, trugen wohl auch dazu bei, daß Stiller ziemlich menschenscheu war, in jeder Gesellschaft drehte man sich um Julika, er wurde begrüßt als ihr Gatte. Kinder kamen bei ihrem damaligen Einkommen nicht in Frage; es wäre für Julika ein Ausfall von einem Jahr gewesen. Nicht daß Stiller so ein unbändiges Bedürfnis empfunden hätte, Vater zu werden; er machte sich nur manchmal ein komisches Gewissen daraus, daß Julika gewissermaßen doch seinetwegen auf Kinder verzichten mußte, und sann immer wieder einmal daran herum, ob ein Kind nicht gerade für Julika sehr wichtig sein könnte. Wieso gerade für Julika? Ein Kind, meinte Stiller, könnte Julika als Frau in einer Weise erfüllen, wie er es nie vermochte. Das war so ein Gedanke von ihm, der ihm nicht auszureden war, und er kam immer wieder mit dem Kind. Was wollte er denn von Julika? Irgendwie zeigte es ihr, daß Stiller ihre Künstlerschaft nicht ganz vollnahm, vielleicht aus unbewußtem Neidauf ihren Erfolg, und jedenfalls verstimmte es Julika, daß er immer und immer wieder mit dem Kind kam. War sie denn nicht erfüllt genug? Erst als Julika es einmal rundheraus sagte, daß er sie als Künstlerin beleidigte, verstummte er, insbesondere aber nach ihrer Frage: Wozu ein Kind von einer tuberkulösen Mutter? Damit war das Kind für immer begraben. Indessen kam er nun mit ihrer Tuberkulose, mahnte zu passender und unpassender Zeit, Julika sollte wieder einmal zum Arzt gehen. Die arme Julika wagte schon nicht mehr zu husten, so lag ihr seine Mahnung nachgerade auf den Nerven. Was wollte er nur immerzu von ihr? Stiller war rührend, doch verbohrt in seiner Meinung, Julika käme nicht zu ihrem vollen Leben. Julika war gewiß keine Gefährtin für endlose Wanderungen, keine Genossin für nächtelange Zecherei mit seinen Bekannten; sie bedurfte der Schonung, weiß Gott, aber eigentlich war Julika damals ganz zufrieden mit ihrem Leben. Warum war Stiller es nicht? Wenn im Laufe einer Ballettprobe draußen das Wetter umgeschlagen hatte, wartete Stiller vor dem Bühnenausgang mit ihrem wärmeren Mantel, hatte auch den Schirm und den Schal nicht vergessen; er war wirklich ein rührender Hüter ihrer leider so gefährdeten Gesundheit, nur sein stetes Drängen zum Arzt verdroß Julika. Sie empfand es als heimliche Kündigung seiner zärtlichen Rücksicht, ja als Anzeichen von Lieblosigkeit, und all das machte sie eher trotzig. Sie fühlte sich zum Arzt geschickt, gestoßen, gezwungen, nur damit sein Gewissen beruhigt wäre; damit sein männlicher Egoismus keine Rücksicht mehr zu nehmen brauchte; es empörte sie, wenn Stiller nur fragte, ob sie jetzt beim Arzt gewesen wäre. Es war etwas unvernünftig von Julika, mag sein, aber begreiflich; sie war immer ein sensibles Wesen. Jahrelang tanzte sie also auf die Gefahr hin, einmal mitten auf der Bühne zusammenzubrechen; alle bewunderten Julika wegen dieser Energie, der Direktor, das ganze Ballett, das ganze Orchester, nur Stiller nicht. Er nannte es idiotisch! Vermutlich aus purer Angst, nicht ernstgenommen zu werden, hatte er Anfälle von ordinärer Grobheit, die nur von ihrem Schluchzen verstummte. Alles war jetzt nicht recht an ihr; er nörgelte an Julika herum, weil sie, wenn sie vom Tisch in die Küche ging, nicht auf dem gleichen
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