Stiller
Träumen in Paris gefragt, sondern nach seiner wirklichen Beschäftigung in Paris. Stiller aber erzählte seinen Traum, und zwar ausführlich. »– wir waren in Gesellschaft«, erzählte er, »und irgendwie war ich außer mir, ich weiß nicht warum, ich wollte etwas sagen, hatte aber keine Stimme, je lauter ich es sagen wollte, und es mußte gesagt werden. Es war zum Heulen. Und wenn ich dabei draufgehen würde, es mußte gesagt werden. Ich sah dein Lächeln und schrie; du hast gelächelt wie jetzt, weißt du, wie jemand, der halt im Recht ist, und da ich trotzdem schreie, gehst du hinaus, ich kann es nicht verhindern, die Gesellschaft findet wohl auch, so dürfe man nicht schreien; ich benehme mich unmöglich, ich weiß, ich soll Vernunft annehmen, sagen sie, und dir sofort nachlaufen, um dich zu trösten, um es wiedergutzumachen. Ich fühle auch mein Unrecht, nun ja, und ich gehe, ich suche dich in den Straßen, finde dich in einem öffentlichen Garten, Jardin de Luxembourg oder so, es ist ja egal, Frühling, da sitzest du also in dem grünen Rasen und lächelst, ich versuche dich zu erwürgen, ja, mit beiden Händen und mit aller Kraft meines Lebens, aber umsonst, dabei weiß ich, daß man uns zusieht, ich würge dich ganz zusammen, aber du bist zu elastisch – du lächelst bloß ...«
Julika sagte natürlich nichts. Kurz darauf erschien die Schwester, um sich zu erkundigen, ob Frau Julika wirklich nicht zu kalt hätte. Julika bedankte sich aufs netteste; man sah den Hauch vor dem Mund, aber Julika mit ihren Bettflaschen und ihren Decken hatte wirklich nicht kalt. Als die Schwester sich entfernt hatte, sagte Stiller:
»Gestern haben wir Schluß gemacht – Sibylle und ich – gestern in Pontresina.«
»Wer ist Sibylle?« fragte Julika.
»Jetzt ist es auch Schluß zwischen uns, Julika, und zwar endgültig, das wirst du verstehen.« Julika schwieg.
»Endgültig«, wiederholte er.
Es dürfte nicht ganz ohne Komik gewesen sein, erstens wie Stiller es seiner Julika verargte, daß sie, die in Wirklichkeit doch auf dieser Veranda lag, in seinem Pariser Traum gelächelt hatte, und zweitens überbrachte er seine Meldung in einem Ton, als wäre es das erste Verhältnis in der Geschichte der Menschheit, das in die Brüche ging, ja mit einer Miene, als wäre Sterben in einem Sanatorium nichts, verglichen mit dem gestrigen Pontresina-Begräbnis seines Sieben-Monats-Verhältnisses, nicht ganz ohne Komik auch, wie er nun Geständnisse lieferte, betreffend seine Liebe zu der Dame, die also Sibylle hieß, und sich in lauter nachträglicher Offenheit erging. Julika las in seinem Gesicht, wie es ihn verstimmte, daß sie unterdessen die Schneekristalle von ihrer Kamelhaardecke blies. Was sollte Julika schon tun? Was er nun berichtete, deckte sich so ziemlich mit ihren sommerlichen Befürchtungen, und so war es für die arme Julika in dieser Stunde kein allzu großer Schock mehr; sie wußte ja schon lange, daß sie betrogen war. Stiller dagegen, indem er nun in ihrer Jugendstil-Veranda hin und her ging, genoß es in seiner Untröstlichkeit, ausführlich zu werden in einem durchaus unverlangten Grad, nur um sich so lange wie möglich an seinen verlorenen Sommer zu klammern.
»Ja«, sagte er endlich, »so ist es nun.«
»Und jetzt?«
Es ist nicht wahr, daß Julika ein Lächeln heimlicher Schadenfreude oder überhaupt ein Lächeln zur Schau getragen hätte. Stiller träumte wohl wieder ein wenig. Anderseits wird niemand erwarten, daß die arme Julika gerade in Tränen ausbrach, weil es ›Sibylle‹ nicht mehr gab. Was erwartete Stiller wieder von ihr? Sie blies die Schneekristalle von ihrer Kamelhaardecke, nichts weiter, und was er vorher noch hingeworfen hatte, die trockene Bemerkung nämlich, daß es nun Schluß wäre auch mit Julika, seiner immerhin gesetzlichen Gattin, hatte sie keineswegs überhört, nur begriff sie den logischen Zusammenhang nicht. Wie aber Stiller das zu erläutern versuchte, nun wieder auf dem Geländer hockend, wobei er meistens in das Gestöber hinausblickte, als redete er mit den schemenhaften Lärchen,entsprang seine ganze Heftigkeit gar nicht diesem Augenblick, nicht diesem Ort und nicht der Gegenwart seiner armen Julika, alles tönte eher wie lange schon aufgestapelte, in Einsamkeit hergestellte und jetzt ohne lebendigen Zusammenhang aufgereihte Formulierungen, die Stiller mit entschlossener Grausamkeit von sich gab, je grausamer um so besser, alles kam wie unter dem Zwang eines fremden Befehls,
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