Stiller
nicht, ob du’s verstehst. Wenn man einen Menschen liebt, so läßt man ihm doch jede Möglichkeit offen und ist trotz allen Erinnerungen einfach bereit, zu staunen, immer wieder zu staunen, wie anders er ist, wie verschiedenartig und nicht einfach so, nicht ein fertiges Bildnis, wie du es dir da machst von deiner Julika. Ich kann dir nur sagen: es ist nicht so. Immer redest du dich in etwas hinein – du sollst dir kein Bildnis machen von mir! das ist alles, was ich dir darauf sagen kann.«
Stiller rauchte vor sich hin.
»Woher hast du das?« fragte er nur. Es war nicht mehr mit Stiller zu sprechen, scheint es, er hörte nur noch sich selbst. Er war von Pontresina gekommen mit dem festen Entschluß, alles in Grund und Boden zu reißen, »Liebe?« lächelte er, »reden wir besser nicht von Liebe, nicht in unseremFalle, auch nicht von Treue – auch du hättest mich wahrscheinlich längst verlassen, Julika, an Gelegenheit fehlte es dir nie, ich weiß, bloß an Zuversicht, daß du einen wirklichen Mann würdest halten können. Reden wir doch offen! Unsere verhältnismäßige Treue war die Angst vor der Niederlage mit jedem anderen Partner, so wie ich sie jetzt erlitten habe, nichts weiter. Wir wollen uns nichts vormachen! Auch zwischen uns ist es jetzt Schluß. Ich denke, Julika, wir sehen einander zum letztenmal.«
Julika weinte.
»Es ist gräßlich«, meinte Stiller sehr nüchtern, »daß es gerade in diesem Sanatorium sein muß. Du bist noch keineswegs über die Krise, sagt mir dein Oberarzt. Aber vielleicht ist es gut, Julika, wenn du von diesem Tage an weißt, ohne jede Möglichkeit eines Zweifels weißt, daß mir deine Krankheit keinen Eindruck mehr macht. In deinen Ohren, mag sein, klingt das geradezu gemein. In Wahrheit, schau, war ich stets voll heimlichem Vorwurf gegen dich, daher auch wieder so rücksichtsvoll bis zur Lächerlichkeit, denn ich mußte immerfort etwas gutmachen, etwas Verschwiegenes, verstehst du, und jetzt zum erstenmal, so scheint mir, stehe ich vor dir, ohne dir böse zu sein. Nämlich ich weiß jetzt, daß nicht du es bist, was mich bis heute gehindert hat, wirklich zu leben. Gott sei Dank, daß ich es endlich weiß! Die Tränen in deinen Augen, Julika, sind eine Drohung, die nicht mehr wirkt. Nämlich sterben müssen wir alle.«
Darauf sagte Julika:
»Ich möchte, daß du mich jetzt allein läßt.«
Stiller stand noch eine Weile vor ihrem Bett, seine Hände in den Manteltaschen, nachdem er die Zigarette über das Geländer geworfen hatte, etwas verlegen. Und dann, als läge Julika schon im Sarg, küßte er sie bloß auf die Stirn, ohne ihre Arme zu erwarten, und verließ rasch die winterliche Veranda ... Seither (erzählt Julika) blieb er für sie verschollen. In der Stadt wurde Stiller im Dezember noch gesehen. Dann erst, nach einer Vernissage mit mitternächtlicher Trinkerei, blieb er verschollen auch für die andern, unmerklich vorerst, nicht von heute auf morgen; man merkte es erst nach und nach, daß er im Kaffeehaus und auch sonst, wo man Stiller zu treffen pflegte, ausblieb, und jeder zuckte die Achseln, wenn der andere beiläufig nach Stiller fragte. Man wartete weit in den Januar hinein, bevor jemand, den das immer verschlossene Atelier nachgerade beunruhigte, die Polizei benachrichtigte, die mit einer ergebnislosen Durchsuchung aller Schubladen begann und heute noch, sechs oder bald sieben Jahre später, nicht mehr weiß als damals.
Drittes Heft
Gestern (zwischenhinein) Fahrt in ein eidgenössisches Zeughaus, um die soldatische Ausrüstung ihres Verschollenen zu besichtigen. Lange Warterei in einer Baracke. Rauchen verboten! Ich hocke mich auf ein Bündel eidgenössischer Hosen. Ob ich nicht stehen könne? Es riecht nach Leder, nach Kampfer, nach Pferden aus Stallungen nebenan. Nur um etwas zu sagen, frage ich den jungen, in seinen glänzenden Stiefeln etwas verlegenen Leutnant, den diese Warterei ebenso langweilt wie mich: »Haben Sie hier immer noch Kavallerie?«
»Nein«, sagt er kurz.
Endlich bringen sie das verschnürte Paket mit der verwahrlosten Uniform ihres Verschollenen, befehlen mir, es aufzuschnüren. Ich hätte es nicht tun sollen, natürlich nicht; jede noch so bescheidene Höflichkeit bestärkt sie in ihrer Meinung, daß sie mit mir machen können, was sie wollen, wie mit Stiller. Da ich den räudigen, aber auch sonst eher komischen Tornister auspacke, fällt alles, was zu Mitrailleur Stiller gehört, auf den Boden, und natürlich bin ich es, der es
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