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Stiller

Stiller

Titel: Stiller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Frisch
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den Stiller sich auf seiner Fahrt nach Davos oder vielleicht beim Schneckenessen selber gegeben hatte, eines grimmig-männlichen Befehls. Julika hörte zu, wurde aber das Gefühl nicht los: Wer hat dich nur geheißen, so grausamen Unsinn zu reden, mein guter Stiller, das bist ja gar nicht du! Er war grausam wie eben ein armer Scherge, der im Augenblick, da er sein Opfer mit eigenen Augen sieht, nicht erweichen darf, er muß den Befehl vollstrecken; darum blickte Stiller kaum auf Julika, sondern hinaus ins Gestöber mit den grauen Lärchen. Und vor allem hatte Julika, je länger er redete, das klare Gefühl: So ist es nicht, mein guter Stiller, es ist doch alles ganz anders! ... Stiller redete endlos. »Wäre nicht diese Niederlage in Spanien gewesen«, sagte er, »wäre ich dir mit dem Gefühl begegnet, ein voller und richtiger Mann zu sein – ich hätte dich schon längst verlassen, Julika, vermutlich schon nach unserem ersten Kuß, und diese ganze jämmerliche Ehe wäre uns beiden erspart geblieben. Das ist das Bittere, siehst du; wir hätten es wissen können, daß es nicht gehen wird. Und es fehlte nicht an Signalen auf der ganzen Strecke, nur an Mut, sie zu sehen. Heute weiß ich es: im Grunde habe ich dich wahrscheinlich nie geliebt, ich war verliebt in deine Spröde, in deine Zerbrechlichkeit, in deine Stummheit, die es mir zur Aufgabe machte, dich zu deuten und auszusprechen. Was für eine Aufgabe! Ich bildete mir ein, du brauchst mich. Und deine Müdigkeit immer, deine Herbstzeitlosenblässe, dein Hang zum Kranksein, das war ja genau, was ich unbewußtermaßen brauchte, eine Schonungsbedürftige, um mir selbst um so kraftvoller vorzukommen. Eine gewöhnliche Geliebte zu haben, verstehst du, so ein gesundes und durchschnittliches Mädchen, das umarmt sein will und selber umarmen kann, nein, davor hatte ich Angst. Überhaupt war ich ja voll Angst! Ich machte dich zu meiner Bewährungsprobe. Und darum konnte ich dich auch nicht verlassen. Dich zum Blühen zu bringen, eine Aufgabe, die niemand sonst übernommen hatte, das war mein schlichter Wahnsinn. Dich zum Blühen zu bringen! Dafür machte ich mich verantwortlich – und dich machte ich krank, versteht sich, denn wozu solltest du gesund werden mit einem solchen Mann; die Angst, daß du an meinerSeite unglücklich würdest, fesselte mich ja stärker als irgendeine Art von Glück, die du zu geben hast.«
    Einmal fragte Julika:
    »Wieso Niederlage in Spanien?«
    Keine Antwort.
    »Und ob du all dies gewittert hast!« meinte Stiller, »und ob! Das ist doch ganz klar. Vom allerersten Abend an; du warst verliebt in meine heimliche Angst. Das gefiel dir, meine Liebe, so ein Mann, der nicht einfach kommt und umarmt, sondern zittert, ein verängstigter Mann, ein irgendwie gebrochener Mann, der sich an dir glaubt bewähren zu müssen, ein Mann mit schlechtem Gewissen von vornherein, ein Idiot, der es stets als seine Schuld empfinden wird, wenn etwas nicht klappt. War es nicht so? Ich war sogar verantwortlich für das Wetter. Ich sehe dich, Julika, wie du plötzlich die Hand ausstreckst und nicht den Himmel anblickst, sondern mich: Jetzt regnet es! Und ich ließ mir diesen Blick gefallen –«
    Julika ließ ihn reden.
    »War es nicht so?« fragte Stiller. »Warum bist du all die Jahre nie zum Arzt gegangen? Du würdest nicht in dieser trostlosen Veranda liegen, Julika. Warum wolltest du keine gesunde Frau sein? Es ist blödsinnig, Julika, aber wahr: Du wolltest nicht gesund sein. Du fandest mich lieblos, wenn ich mit Freude feststellte, daß du einmal gänzlich ohne Fieber bist. Es ärgerte dich. Denke an die zahllosen Abende, wo du in dein Zimmer verschwandest, um dich hinzulegen, nur damit wir’s nicht vergaßen: Die arme Julika! und damit du dich nicht mit diesen gesunden Frauen zu messen hattest. Davor hattest du ja eine Heidenangst. Ich weiß: Du hattest sehr strenge Proben, jaja, und ich hatte leicht reden mit meiner Lehmerei, wo es nichts ausmachte, ob ich arbeitete oder nicht, mit meinem freien Paschaleben, ich weiß, deine Arbeit war nicht zu vergleichen mit irgendeiner andern, auch nicht mit der Arbeit einer Kinderärztin, versteht sich, und überhaupt war es schon ungerecht, auch nur zu hoffen, zu wünschen, daß du nicht zarter bist als andere Frauen. Dein Konsum an Rücksicht (von allen Seiten) war schamlos. Und wie alle sich fügten, nicht nur dein Idiot, alle, auch wer nicht in dich verliebt war, Gott weiß, wofür sie sich bei dir entschuldigten, und

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