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Stiller

Stiller

Titel: Stiller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Frisch
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wenn du mitten in Gesellschaft eingeschlummert bist, weil nicht von deinem Ballett gesprochen wurde, fanden sie dich einfach eine tapfere Frau, deckten dich zu, damit du nicht frierst, weil du dich nicht selber wenigstens zudecken konntest, eine Gesellschaft von Samaritern,und wir alle flüsterten nur noch, denn wer wußte es nicht, daß Julika am andern Morgen eine schwere Probe hatte! Sie alle haben dir einen miserablen Dienst erwiesen, Julika, genau wie ich auch. Und wenn ich nicht begriff, daß du dich nicht hattest entschließen können, unseren Freunden noch eine Mehlsuppe zu machen, so lag es an mir, versteht sich, man muß seine Frau nehmen, wie der liebe Gott sie geliefert hat. Immer wieder vergaß ich, wie zart du bist, wie schonungsbedürftig! Und dann, kaum sind die Freunde gegangen, nimmst du dich zusammen und gehst in die Küche, zum Umsinken müde, um Foxli eine warme Milch zu machen. Denn Foxli bist du!«
    Stiller, einmal im Reden, kam noch mit einer ganzen Reihe von Vorwürfen dieser Art, lauter Bagatellen, eine kleinlicher als die andere: Julika konnte nur staunen.
    »Du schweigst in dich hinein wie immer!« sagte er, »du hältst dich für die Liebe und die Hingabe in Person, ich weiß, ich halte dich für den Narzißmus in Person. Und für den Hochmut in Person! das vor allem. Ich bin vor dir auf die Knie gefallen. Julika, ich habe vor dir geheult, wie ein Mann unter gewissen Umständen heult, ich habe mich vor dir geschämt, ich habe vor dir bereut, und du hast verziehen, gewiß, du hast mir ja am laufenden Band verziehen, ich weiß, ohne eine Minute der Erschütterung, ohne eine Minute wirklich zu denken, daß vielleicht auch du mich kaputt machst, und wirklich zu zittern. Wieso denn auch? Du bist die Dulderin, das wissen alle unsere Bekannten, ein nobles Wesen, das keine Vorwürfe brüllt, nein, die Vorwürfe hatte ich mir schon selbst zu machen. Damit hast du dich nie beschmutzt. Aber überlege es dir: Hast du mich einmal davon befreit, wenn ich glaubte mir Vorwürfe machen zu müssen? Du hast verziehen. Und damit ist ja der Vorwurf anerkannt, das vor allem. Es gibt eine Satanie im weiblichen Verzeihen, meine Liebe, die dir ferne ist, versteht sich, alles ist dir ferne; ich empfand es nur so in meiner Mimosenhaftigkeit, und daran kann man genau so zugrunde gehen wie an einer Tuberkulose ... Ich rede und rede, Julika, und du bläst den Schnee von der Decke!« Stiller fuhr fort:
    »Ja – ich fragte mich manchmal, warum ich in all diesen Jahren nie aufgesprungen bin und dir kurzerhand eine Ohrfeige versetzt habe. Im Ernst, es ist ein Fehler, der nicht mehr nachzuholen ist; ein Fehler, davon bin ich überzeugt. Wieviel hätte es uns beiden erspart! Beispielsweise deine unselige Reise nach Landquart, glaube ich. Natürlich wußtest du von vornhereinum deinen Zusammenbruch irgendwo auf der Strecke, aber du scheust keinen Preis mehr, um dir mein schlechtes Gewissen zu sichern. Du irrst dich! Und dabei ist es wieder das Fürchterliche: in einem ganz andern Sinn, siehst du, ist es wirklich mein Verschulden, daß du jetzt in diesem Sanatorium liegst. Aber da hast du mir nichts mehr zu verzeihen. Ich denke jetzt oft: Hätte ich dich nicht zu meiner Bewährungsprobe gemacht, wärest du auch nie auf diese Idee gekommen, mich durch dein Kranksein zu fesseln, und wir hätten einander auf natürliche Weise geliebt, ich weiß es nicht, oder uns auf natürliche Weise getrennt. Du hättest damals einem Mann begegnen sollen, der kein falsches Gewissen hat und doch viel Geduld, freie Geduld, einem Mann jedenfalls, der nur durch natürliche Liebe zu gewinnen und zu halten ist. Wer weiß, meine liebe Julika, wie gesund du hättest sein können – schon immer! ...«
    Stiller schwieg.
    »Und jetzt?« fragte sie.
    Stiller glotzte sie an.
    »So also siehst du mich!« sagte Julika. »Du hast dir nun einmal ein Bildnis von mir gemacht, das merke ich schon, ein fertiges und endgültiges Bildnis, und damit Schluß. Anders als so, ich spüre es ja, willst du mich jetzt einfach nicht mehr sehen. Nicht wahr?« Stiller steckte sich eine Zigarette an. »Ich habe in letzter Zeit auch über vieles nachgedacht«, sagte Julika und blies die Schneekristalle von ihrer Kamelhaardecke auch dann, wenn sie selbst das Wort führte, »– nicht umsonst heißt es in den Geboten: du sollst dir kein Bildnis machen! Jedes Bildnis ist eine Sünde. Es ist genau das Gegenteil von Liebe, siehst du, was du jetzt machst mit solchen Reden. Ich weiß

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