Stiller
zusammenlesen muß. Ich sage:
»Meine Herren, was geht das mich an?«
»Also vorwärts.«
Zwei eidgenössische Zeughäusler, beide verfettet und bleich von lebenslänglicher Kampferluft, ersetzen das Militärische vorzugsweise durch einen griesgrämig-knappen Ton. Alles ohne Anrede! Dann halten sie einen feldgrauen Mantel gegen das Regenlicht, blicken den jungen Leutnant an, der sich mit Gewissenhaftigkeit überzeugt, und warten auf mein Entsetzen.
»Da – sehen Sie nichts? He?«
Schabenlöcher, zugegeben, eine ganze Milchstraße von Schabenlöchern. Ich befühle den Stoff und sage:
»Der ist auch sonst nicht wasserdicht.«
Darauf sehen sie mich wie einen Kommunisten an, bloß weil ich eine ganz sachliche Wahrheit gesagt habe. Ich greife den Regenmantel des jungen Offiziers, der als stummer Aufseher danebensteht.
»Sehen Sie«, sage ich, »der ist richtig!«
Später muß ich in den Lauf eines eidgenössischen Gewehres gucken. Sie zwingen mich. Sehr merkwürdig, ich lasse mich zwingen. Warum eigentlich? Ich gucke in das fremde Gewehr, als wäre es ein Fernrohr, sehe abernichts, ein Löchlein voll grauen Lichts, weiter nichts. Und abermals warten sie, daß ich vor Schuldbewußtsein in den Betonboden versinke. Ein kleines Spiegelchen wird angebracht.
»Sehen Sie jetzt etwas?«
Ich sehe Rost, habe indessen nicht gefragt, was der Lauf eines eidgenössischen Gewehres koste, und der Vortrag des jungen Offiziers, den ich aus Höflichkeit anhöre, berührt mein Interesse in keiner Weise. Ich denke ja nicht daran, ein eidgenössisches Gewehr zu kaufen. Einen Revolver, ja, oder eine Maschinenpistole; aber was soll ich mit einem Gewehr von der Länge eines Spazierstocks? Der junge Leutnant, scheint mir, ist irgendwie verlegen, als vermute er in mir auch einen Akademiker; er sagt immer:
»Das muß ich Ihnen ja nicht erklären.«
Aus purem Pflichtbewußtsein, als stände er vor den beiden Zeughäuslern selbst im Examen, erklärte er es dann doch, so peinlich es ihm ist; irgendwie, so habe ich das Gefühl, möchte er mir zeigen, daß auch er höhere Interessen hat, kann es in dieser Zeughausbaracke aber nur tun, indem er hin und wieder zum Fenster hinaus in den strömenden Regen schaut – während die beiden Zeughäusler, die mich mehr und mehr mit Haß betrachten, sich auch durch meine offenherzige Gleichgültigkeit nicht hindern lassen, alles auf den Tisch zu legen, was nach ihrer Meinung zum Kriegführen benötigt wird, nämlich: zwei Bürsten, ein Besteck, eine Spule mit feldgrauem Faden, Lederseife, eine ganz bestimmte Anzahl von Knöpfen, jeglicher mit dem Schweizerkreuz versehen, eine Gamelle, eine Feldflasche, deren Zapfen nicht stinken sollte, Schuhbendel, eine Anstreichbürste mit Futteral, ein Stahlhelm, eine sogenannte Krawatte, ein Bajonett mit Scheide, ferner drei Nadeln, die der verschollene Stiller ebenfalls in unverantwortlicher Weise hat verrosten lassen, kurzum, es ist ein ganzer Tisch voll, was ich nicht ohne Staunen, wenn auch mit den Händen in den Hosentaschen besichtige.
»Ich brauche Ihnen ja keinen Vortrag zu halten«, sagt der junge Leutnant, »Sie wissen ja selbst, daß Sie für den Schaden persönlich aufzukommen haben.«
»Ich?« lache ich, »wieso?«
»Wer sonst?«
Ich komme nicht zu Wort. Auch den Waffenrock ihres Verschollenen habe ich anzuziehen. Ich komme einfach nicht zu Wort; darin besteht schon ein Teil ihrer Macht, der ich mich zu meinem eigenen Erstaunen tatsächlichfüge, wenn auch mit Zögern. Es fällt ihnen nicht ein, mir den Waffenrock zu halten, und wie ich das Häftchen am Kragen nicht finde, heißt es bloß: Also vorwärts! Auch von meiner harmlosen Bemerkung, in einem solchen Waffenrock sei einer erschöpft, bevor er den Feind zu Gesicht bekomme, wird keine Notiz genommen. Ich muß mich drehen wie eine Kleiderpuppe.
»Sie sind magerer geworden«, behauptet der junge Leutnant, der mich zum erstenmal in seinem Leben sieht; »das schlottert ja überall.«
Unterdessen ist einer von den Zeughäuslern bereits zu einem Gestell gegangen, hat einen anderen Waffenrock herausgerissen, den er mir zuwirft:
»Probieren Sie den!«
»Wozu?« frage ich, erhalte aber wiederum keine Antwort, sondern lediglich eine andere Nummer von Waffenrock und dazu einen Vortrag des jungen Offiziers: daß ich bis zum achtundvierzigsten Lebensjahr zur schweizerischen Landwehr gehöre, dienstpflichtig sei bis zum vollendeten sechzigsten Lebensjahr, selbstverständlich das Recht habe, in die
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