Stiller
einmal das hört er.
»Ich weiß nicht«, sage ich nach den ersten Zügen, »welcher von den beiden Freunden eigentlich den mörderischen Streit begonnen hat, der Ehrlichere vermutlich, und jedenfalls ist nur einer aus der Kaverne gestiegen, der Stärkere vermutlich. Sein Name ist bekannt, sogar mit metallenen Lettern auf einen Denkstein geschrieben. Jim White. In einer Publikation, die heutzutage den Touristen verkauft wird, heißt es etwas genauer: James Larkin (Jim) White, a young cowboy who made his first entry trip in 1901. Von dem Freund hingegen, der immerhin als Begleiter erwähnt wird, heißt es bloß: a Mexican boy. Sein Name ist verschollen, und ich denke, dieser Verschollene wird sich auch nicht mehr melden!«
Knobel scheint etwas verwirrt zu sein.
»– sind Sie denn Jim White?« fragt er.
»Nein«, lache ich, »das gerade nicht! Aber was ich selber erlebt habe, sehen Sie, das war genau das gleiche – genau.«
Knobel scheint etwas enttäuscht zu sein.
Zweiter Kaution-Nachmittag mit Julika.
Mein lebhafter Eindruck beim Wiedersehen: Das ist sie nicht! Diese Frau hat mit der öden Geschichte, die ich in den letzten Tagen einigermaßenprotokolliert habe, überhaupt nichts zu tun! Es sind zwei verschiedene Juliken! Es ist gar nicht ihre Geschichte! usw.
»Du?« fragt sie einige Male, »was ist denn los mit dir? – warum schaust du mich immer so an?«
Heute ist sie unbefangener als ich. Mein Vorschlag, ein Segelboot zu mieten, entzückt sie. Arm in Arm gehen wir dahin. Ich weiß gar nicht, wovon reden, und bin froh um Beschäftigung mit Segelleinen, mit Steuer, während Frau Julika Stiller-Tschudy, heute in einem bananengelben Straßenkleid, nach einiger Ängstlichkeit beim Sprung in das wankende Boot und nach einiger Besorgnis, wo sich ihre weiße Handtasche und ihr schmetterlinghafter Pariser Hut ohne Schmutz und Schaden verstauen ließen, in holder Untätigkeit auf der anderen Bank sitzt, auf ihre ausgespreizten Arme gestützt. Julika muß nur die Bank wechseln, wenn ich das Boot wende. Dann überläßt sie sich wieder der Muße, dem Wind ihr lichterlohes Haar. Wie anders sie ist! Draußen auf dem See, dessen hügeliges, fast lückenlos übersiedeltes und immer sehr nahes Ufer sich in herbstlicher Versponnenheit verliert, so daß man das Gefühl einer gewissen Weite haben kann, sind wir zum erstenmal einigermaßen allein. Ist es ihr bewußt? Jedenfalls müssen wir nicht damit rechnen, daß der Wärter, mein braver Knobel, plötzlich mit Aschenbechern kommt... . Hinterher (jetzt wieder in meiner Zelle) versuche ich umsonst, ihr lachendes Gesicht zu sehen; ich weiß nur sehr lebhaft, daß ich es dann, wenn es lacht, jedesmal mit beiden Händen greifen möchte wie eine Himmelsgabe, die ja doch mit Händen nicht zu greifen ist, nur zu glauben, und dann das wache, nüchterne Gefühl habe: es gibt nichts, was nicht in diesem Lachen einzuschmelzen wäre! Julika muß es ähnlich empfinden. In einem Zusammenhang, den ich vergessen habe, sagt sie:
»Wenn ich so allein bin, siehst du, und mich an alles erinnere, das ist das Schlimme, daß man allein nicht darüber lachen kann, oder dann ist es nur so ein böses und bitteres Lachen, so daß man später über genau die gleichen Dinge doch wieder heult.« Anläßlich einer längeren Flaute entkleiden wir uns, kurz entschlossen, und springen kopfüber in das grüne, sonnenglitzernde Wasser, das schon ziemlich kühl ist, schwimmen um das steuerlos pendelnde Boot, strampeln wie die Kinder. Nachher auf dem Boot, wo wir uns triefend und mit Gänsehaut an die gnädige Sonne legen, sagt Julika:
»Du bist magerer –!«
Magerer als wer? Unserer Idylle zuliebe beziehe ich ihre Bemerkung nicht auf den verschollenen Stiller, sondern auf ihren immer noch verschwiegenen Herrn in Paris, der mich weniger eifersüchtig machen kann als ihr Stiller, komischerweise. Da noch allenthalben Dampfschiffchen kreuzen, müssen wir uns anziehen, ehe man ganz trocken ist. Infolge Wechsel des Windes, so daß ich auch auf unsrer Rückfahrt immerzu gegen den Wind fahren muß, komme ich fast zu spät ins Gefängnis. Julika muß mich in einem Taxi hinbringen ... Jetzt noch (abends auf meiner Pritsche) sehe ich die Wasserperlen auf ihren Armen, auf ihrer blassen Alabaster-Stirn, dazu das antikische Gelock ihrer nassen Haare um den Nacken.
PS.
Demnächst will sie für etwa eine Woche nach Paris gehen, ihrer Ballettschule zu liebe; ich werde sie
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